Das Glück reicht immer für zwei
Schwestern«, erwiderte Mia.
Leo schien überrascht. »Wirklich?«
Ach ja, die übliche Reaktion, dachte Mia. Der Ausdruck der Verwunderung von jemandem, der zwei ungleiche Schwestern miteinander verglich: brillant versus mittelmäßig, blond versus brünett und dünn versus dick – wobei dick wohl etwas übertrieben war. Britt hatte sie als kurvenreich bezeichnet, und sie fand, dass dies eine faire Einschätzung war. Aber in einer Welt, in der alle Frauen Größe 36 anstrebten, war ein kurvenreicher Körper gleichbedeutend mit einem schwachen Willen. Was, wie sie sich ehrlich eingestand, in ihrem Fall stimmen mochte. Willensschwäche,
gepaart mit mangelnder Disziplin – deswegen war sie die Assistentin und Britt die glamouröse Bestsellerautorin. Mia hatte von Anfang an daran gezweifelt, dass Britts Sekretärin diejenige war, die das Manuskript verschickt hatte. Sie kam nicht umhin zu denken, dass Britt alles geplant hatte. Sie plante immer. Mia hingegen ließ sich treiben.
»Britt ist die Erfolgreiche, und ich darf sie begleiten«, sagte sie fröhlich zu Leo und warf ihrer Schwester einen verschmitzten Blick zu.
»Also Mia … im Ernst.« Britt schien sich noch unbehaglicher zu fühlen als zuvor.
»Darf ich vorstellen, Britt Martin«, sagte Mia.
Leo sah sie noch immer fragend an.
»Autorin des Romans Der perfekte Mann«, erklärte Mia.
»Tut mir leid. Ich lese nicht besonders viel und fürchte, dieser Titel sagt mir nichts.«
»Das ist völlig in Ordnung«, beeilte Britt sich zu sagen. »Ich hätte auch nichts anderes erwartet.«
»Aber ich!«, rief Mia aus. »Alle Welt hat den Roman gelesen. Auch zahlreiche Männer. Es ist eines der erfolgreichsten Bücher der letzten Jahre und wird bald als Kinofilm herauskommen.«
»Wirklich?« Leo wirkte nicht überaus beeindruckt.
»Auch in der Bordbuchhandlung liegt das Buch aus«, fuhr Mia unbeirrt fort. »Und alle, die Britts Workshops und Vorträge besuchen, erhalten einen Spezialrabatt von zehn Prozent. In ihren Workshops gibt sie Tipps, wie man einen solchen Megaseller schreibt. Ihre erste Veranstaltung, ein Vortrag, findet übermorgen statt, und wenn Sie mögen, können Sie sich an der Rezeption einschreiben.« Sie sah ihre Schwester triumphierend an. Hatte sie nicht soeben unter Beweis gestellt, dass sie ihrer Jobbeschreibung gerecht wurde? Sie hatte bei erstbester Gelegenheit die Werbetrommel für Buch und Autorin gerührt.
»Ich werde es mir überlegen«, sagte Leo.
»Bitte fühlen Sie sich nicht dazu verpflichtet«, beeilte sich Britt zu sagen. »Mein Buch wird womöglich nicht ganz Ihren Geschmack treffen.«
»Wie willst du wissen, was sein Geschmack ist?«, fragte Mia. »Schließlich befindet sich Leo auf einer Valentins-Kreuzfahrt. Also muss er eine romantische Ader haben.«
»Dann ist es also ein Liebesroman?«
»O ja«, antwortete Mia. »Eine Mischung aus Stolz und Vorurteil und …«
»Mia! Ich bin sicher, Leo interessiert das alles überhaupt nicht«, sagte Britt.
»Er hat gefragt, und ich habe geantwortet.«
Der Steward brachte ihr Essen. Britt, der es äußerst peinlich war, mit jemandem ihren Roman zu erörtern, der noch nicht einmal davon gehört hatte, war heilfroh über die Unterbrechung. Prompt wechselten sie das Thema und unterhielten sich über die Qualität des Essens.
»Ich komme mir vor wie ein Kind im Vergnügungspark«, sagte Mia, an Leo gewandt, während sie sich einige von den jungen Kartoffeln nahm. »Was hier an Bord geboten wird, verschlägt einem den Atem.«
Während sich Leo seinem Essen zuwandte und auf Mias Plauderei einging, ließ Britt den Blick über die Tische wandern und fragte sich wie immer, wer die einzelnen Menschen wohl waren. Glückliche Ehe, sagte sie zu sich selbst, als sie das Paar am Tisch gegenüber betrachtete. Während sie die anderen Gäste in Augenschein nahm, ordnete sie sie verschiedenen Kategorien zu: Noch nicht verheiratet; unsterblich verliebt – noch; schon zu lange verheiratet; kurz vor der Scheidung. Ihre Augen ruhten einen Moment lang auf dem »Kurz vor der Scheidung«-Paar. Sie hatten zwar einen der raren Zweiertische ergattert, sprachen aber kein Wort miteinander. Da sie trotz der physischen Nähe meilenweit voneinander entfernt schienen, hatte sie sie unwillkürlich in die
Scheidungsschublade gesteckt. Sie erlebten gerade die Tiefen einer Ehe, nachdem sie die Höhen hinter sich gelassen hatten. Wahrscheinlich war die Kreuzfahrt ihr letzter Versuch, noch etwas zu retten. Aber
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