Das Glück trägt Cowboystiefel: Eine wahre Liebesgeschichte (German Edition)
vielen anderen von mir verehrten Tänzern sorgfältig aufzukleben und die Lücken und Ränder der Collage mit Abbildungen von Spitzenschuhen, Tutus, Diademen, Sporttaschen und Stulpen zu verzieren. Damals war das Ballett mein Leben gewesen, während meiner gesamten Schulzeit. Es war mein einziger Lebensinhalt gewesen, bis die Jungs ins Spiel kamen, und selbst die mussten eine Weile um meine Zeit, Energie und Aufmerksamkeit kämpfen.
Ich arbeitete bis tief in die Nacht und sinnierte über meine Vergangenheit, während ich die Collage über den Mann meiner Zukunft zusammenstellte. Ich verspürte bittersüße Sehnsucht nach den Gefühlen in der sechsten Klasse, als ich jene Ballettcollage erstellt hatte, aber auch nach der siebten und achten Klasse, als meine einzige Sorge in Bezug auf die Zukunft darin bestand, welche Farbe der Kamm haben würde, den ich am nächsten Morgen in die Gesäßtasche meiner Lee-Jeans schieben würde. Damals waren meine Eltern noch verliebt. Damals lebte ich noch in der seligen Unwissenheit, wie weh es tun kann, wenn sich die eigene Familie auflöst.
Ich arbeitete immer weiter, und ehe ich mich versah, war meine Collage fertig. Auf dem vom Klebstoff noch feuchten Meisterwerk sah man Bilder von Pferden – zufälligerweise mit freundlicher Genehmigung der Marlboro-Werbung – und vom Football. Es gab Fotos von einem Pick-up und von grünem Gras – ich hatte alles aus den alten Illustrierten aufgeklebt, was auch nur entfernt ans Landleben erinnerte. Eine Klapperschlange: Marlboro Man hasste Schlangen. Die Abbildung eines Sternenhimmels: Als Kind hatte er Angst vorm Dunkeln gehabt. Man sah Dosen mit Erfrischungsgetränken, einen Schokoladenkuchen und John Wayne, der dankenswerterweise in einer Golfzeitschrift aus den frühen Achtzigern in einer Werbeanzeige aufgetaucht war.
Meine Collage würde reichen müssen, auch wenn darauf Bilder fehlten, die weniger greifbare Dinge veranschaulichten, die ich über meinen Zukünftigen wusste – die wahren Dinge. Dass er an jedem Tag, den Gott werden ließ, seinen Bruder Todd vermisste. Dass er schüchtern in der Gesellschaft von Fremden war. Dass er abseitige Bibelgeschichten kannte – nicht die üblichen mit Samson und Delila oder David und Goliath, sondern vergessene, weniger verbreitete Geschichten, die ich bei meinem ständigen Querlesen niemals gefunden hatte. Dass er mit sieben Jahren beim Versteckspielen in eine leere Mülltonne auf dem Kirmesgelände gekrochen war … und festgesteckt hatte, so dass die Feuerwehr ihn herausholen musste. Dass er lange Nudelsorten hasste, weil sie zu kompliziert zu essen waren. Dass er niedlich war. Liebevoll. Ernsthaft. Stark. Meine Collage war unvollständig – es fehlten die ausschlaggebenden Informationen. Doch fürs Erste musste sie reichen. Ich war müde.
Gegen Mitternacht, als ich die Schere, den Klebstoff und die Zeitschriften wegräumte, klingelte mein Telefon. Es war Marlboro Man, der gerade nach Hause gekommen war, nachdem er bis mitten in die Nacht zweihundertfünfzig Stück Rind abgefertigt hatte. Er wollte nur eine gute Nacht wünschen. Das würde ich für alle Zeit an ihm lieben.
»Was hast du heute Abend gemacht?«, fragte er. Seine Stimme war rau. Er klang erschöpft.
»Ach, ich habe gerade meine Hausaufgaben erledigt«, erwiderte ich, rieb mir die Augen und warf einen Blick auf die Collage, die auf dem Bett lag.
»Oh, super«, sagte er. »Ich muss jetzt ein bisschen Schlaf kriegen, damit ich morgen früh rüberkommen und mich dransetzen kann …« Er verstummte. Der arme Kerl – er tat mir so leid. Auf der einen Seite warteten die Kühe, auf der anderen Father Johnson, und in der Mitte war die keine Woche mehr entfernte Hochzeit und ein dreiwöchiger Urlaub auf einem anderen Kontinent. Am allerwenigsten hatte er jetzt Zeit, um durch alte Ausgaben von Jugendzeitschriften zu blättern und Bilder von Lipgloss und Blondierspray zu suchen. Das Letzte, was er jetzt brauchte, war Klebstoff.
Mein Hirn arbeitete auf Hochtouren, dann sprach mein Herz. »Hey, hör zu …«, sagte ich, denn ich hatte plötzlich eine hervorragende Idee. »Mir ist was eingefallen. Schlaf morgen früh einfach aus, du bist so müde …«
»Nee, schon gut«, lehnte er ab. »Ich muss doch die …«
»Die mache ich für dich!«, unterbrach ich ihn. Das war doch die perfekte Lösung!
Marlboro Man schmunzelte. »Ha! Auf gar keinen Fall. Ich mache meine Hausaufgaben selbst.«
»Nein, im Ernst!«, beharrte ich.
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