Das Glück von Brins Fünf
das des Kahns, oder vielleicht war es irgendein Stadtfieber aus Otolor. Jedenfalls schleppte ich mich elend vom Deck zur Kabine, damit mir nur nichts entginge, aber am vierten oder fünften Tag lag ich, fiebernd und fröstelnd, auf der Koje der Kabine flach. Ich schaute durch ein schmales Fenster über den Troon, und die Angehörigen meiner Familie wechselten sich ab, neben mir zu sitzen. Ich hatte Zeit zum Nachdenken, zuviel Zeit, und ich glaubte, daß meine Krankheit eine Krankheit sowohl des Geistes als auch des Körpers war; Aufregung und Gewalttätigkeit hatten sie hervorgerufen. Hier träumte ich zuerst von Jebbals Flugmaschine, die zu Boden trudelte, und von den finsteren Gesichtern des Gulgarvor.
Über mir, auf dem Deck, ging das Leben weiter. Tomar fiel über Bord und wurde von Mamor gerettet, allerdings erst, als der Kleine zu schwimmen begonnen hatte. Tag für Tag ließ Mamor Tomar und Narneen zum Training um das Schiff herum schwimmen, um sich selbst eine zweite Durchnässung zu ersparen. Taucher übte seine Sprache und seine gewebte Schrift und brachte Harfner Roy das „Lied des in der Schlacht gefallenen jungen Harfners“ bei, das, auf Moruianisch, ein großer Favorit im Repertoire des Harfners wurde, das weit und breit bekannt war.
Ich breitete auf Papier drei Versionen desselben Liedes aus: dessen ursprüngliche Wörter, deren Sinn oder Paraphrase, die Taucher dem Harfner gab, und die Wörter auf Moruianisch. Ich weiß nicht, ob die Zuhörer des Harfners je die wirkliche Bedeutung dieses merkwürdigen, lieblichen, heftigen Lieds erfassen werden. Ein einsamer junger Harfner, der freiwillig in den Krieg zieht, ist etwas, das zu unserer eigenen fernen kriegerischen Vergangenheit gehört, in die Zeit der Torlogans und Clan-Kriege. Und dessen Einsamkeit … „ein treues Schwert“ und so weiter. Aber die Schönheit klingt sehr gut durch; wer könnte zwischen „wilder Harfe“ und „turu geer“ oder zwischen „roro-gaban torin-na“ und „Land des Gesangs“ wählen? Eine Zeile bereitete natürlich große Schwierigkeiten; es war für den Harfner unmöglich, irgend etwas zu singen, das „Er gürtete seines Vaters Schwert“ glich, und als Taucher „seiner Mutter Schwert“ vorschlug, sträubte sich der Harfner auch dagegen. Also zog der Junge Harfner „mit von seiner Familie geliehenen Waffen“ in die Schlacht, was die Probleme der Schicklichkeit und der Feuer-Metall-Magie löste.
Brin und Narneen saßen eines Morgens neben mir, und wir sprachen über Vel Ragan und Onnar, die uns in ihrem eigenen Segelboot nach Rintoul folgten. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir eine Flaute und nahmen an, daß es sich bei ihnen ebenso verhielt. Narneen gab Onnars nur halbverständliche Geschichte von Vel Ragans Freund und ehemaligen Lehnsherrn wieder, der ein großer Anführer in der Feuerstadt gewesen, aber in Ungnade gefallen und aus den Diensten der Stadtfünf entlassen worden war. Er hieß Tsorl und war kürzlich nach Rintoul gegangen, um irgendein fremdes neues Metall zu untersuchen, das Tauchers Luftschiff sein mußte. Aber Vel Ragan traute den Ältesten nicht, vor allem nicht dem Großen Ältesten, und was er auf dem Ruß und in Otolor gesehen hatte, ließ ihn um die Sicherheit seines Freundes Tsorl bangen. Danach sagte ich den Namen dieses Anführers vor mich hin, denn er wurde Tsorl-U-Tsorl oder Tsorl der Einzelgänger genannt; er besäße überhaupt keinen Familiennamen, nicht einmal einen Beinamen, der unter dem gemeinen Volk sehr geschätzt wird. Mir schien das ein stolzer und tapferer Titel zu sein. Könnte ich je Dorn-U-Dorn werden?
Wir hatten das Land der Pentroys verlassen und waren ab Otolor durch das Land des Wentroy-Clans gesegelt. Wir legten mit Hilfe der Gangspills am Kai von Linlor an, und meine Krankheit hatte nachgelassen. Ich ging an Deck und sah, daß Linlor eine hübsche, saubere Stadt war, kleiner als Otolor, aber anmutig und weiß, vielleicht ein Vorgeschmack vom Stadtbereich Rintouls. Es lag inmitten bebauter Felder und Obstgärten am Westufer des Troon, der an dieser Stelle breit war.
Ein großes festes Haus stand nicht weit von der Stadt entfernt; es war der Wohnsitz der Wentroy-Ältesten, Guno Gunroyan, deren Ruf für schlechte Laune und Boshaftigkeit ebenso groß war wie für Gerechtigkeit und Fairneß. Sie wurde „Guno Dreg“ genannt, was sich nur schwer übersetzen läßt, denn es bedeutet Alter Kreuzstich, aber es ist ein Ausdruck widerwilliger Zuneigung, fast ein
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