Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glücksprojekt

Das Glücksprojekt

Titel: Das Glücksprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Reinwarth
Vom Netzwerk:
Zeit genug, dass die Welt Notiz von den Pyramiden nahm, seit circa 4500 Jahren stehen sie nun schon dort im Sand. Die Cheops-Pyramide ist, Obacht, aus drei Millionen Steinblöcken gebaut, die alle über zwei Tonnen wiegen. Und die Ägypter kannten das Rad noch nicht. Ich könnte noch viele andere eindrucksvolle Zahlen aus der Encyclopaedia Britannica abschreiben, aber sie erklären nicht die Faszination, die die Pyramiden auf mich ausüben.
    Es gibt ein ägyptisches Sprichwort, das geht so:
    Jeder Mensch fürchtet die Zeit,
    die Zeit aber fürchtet die Pyramiden.
    Das trifft es schon eher. Stellen Sie sich dazu das Größenverhältnis Mensch–Pyramide vor:

    Jetzt noch ein bisschen Sanddünen, Horizont und Stille – merken Sie es schon? Dieser leichte Wow-Effekt? Der könnte die Einschätzung meiner Person in Bezug auf ihre Bedeutung im Weltgeschehen tatsächlich etwas zurechtstutzen. Die Entscheidung ist gefallen:
    Ich fliege nach Kairo, besuche dort Freunde und nutze die Gelegenheit. Die Pyramiden und ich. Wahnsinn.
    Ich weiß nicht, ob Sie schon mal in Kairo waren, und wenn ja, ob Sie mit einem Taxi gefahren sind. Es gibt dort drei Sorten von Taxis:
Gute Taxis
    Gute Taxis sind weiß, haben ein Taxameter und nahezu alle Teile, die ein Auto nach europäischen Maßstäben haben sollte.
Mittlere Taxis
    Mittlere Taxis sind schwarz-weiß, über den Preis wird mit dem Fahrer verhandelt. Statt Sicherheitsgurte gibt es einen Koran auf der hinteren Ablage.
Kamikaze-Taxis
    Diese Taxis sind schwarz. Auch hier handelt man den Preis vorher aus. Wenn Sie nicht auf der linken Spur einer Stadtautobahn zusammen mit Ihrem Fahrer ein Taxi schieben wollen, nehmen Sie nicht die schwarzen Taxis.
    Das Taxi, das mich zu den Pyramiden bringen soll, ist rabenschwarz. Es stammt vermutlich aus den Anfängen der englischen Besatzerzeit um 1882. Das, was wir als Mittelkonsole kennen, ist ein Geflecht aus Kabeln, Drähten und Resten eines Radios. Darin steckt ein abgebrochener Metallstift – der Schalthebel. Aus diesem Chaos erhebt sich, schön geschwungen wie eine gebogene Blume, ein Taxameter. Fare steht hübsch verziert über ein paar Zahlen, die sich das letzte Mal 2000 vor Christi bewegt haben. Dafür klebt an der Windschutzscheibe des Taxis ein Blink-Herz, mit dem Schriftzug I love you in der Mitte, das tadellos funktioniert.
    Im Straßenverkehr von Kairo bekomme ich dann eine Ahnung davon, was es heißt, auf Gott respektive Allah zu vertrauen. Auf der dreispurigen Stadtautobahn fahren zwischen vier und sechs Autos nebeneinander, je nach Größe des Fahrzeugs und Vorhandenseins eines Außenspiegels. Es gilt, wie in Italien, die Devise: Schau immer nach vorn, nie zurück. Und das bei 120 Stundenkilometern allgemeiner Durchschnittsgeschwindigkeit. Während ich, gänzlich unentspannt, auf meiner Rückbank ein imaginäres Bremspedal durchtrete, sehe ich, wie auf der Ladefläche des Pick-ups vor uns drei kleine Kinder spielen, während Papa in der Kabine sitzt und Kamikaze fährt. Direkt gefolgt von einem Motorrad, auf der eine vierköpfige Familie transportiert wird. Gekrönt wird die Straßenszene von einem Müllwagen, auf dessen hinterer Stoßstange drei Müllmänner sitzen. Einer davon schläft. Bei 120 . Ich bin sprachlos, vor Schreck vergesse ich sogar, den Verkehr zu verfolgen und mein imaginäres Bremspedal zu bedienen. Dabei fällt mir auf, dass der einzige Unterschied, ob ich nun panisch mitbremse oder mich entspannt zurücklehne, in den Schweißperlen besteht. Denn, let’s face it: Ich kann von da hinten eh nichts ausrichten. Entweder es passiert was oder es passiert nichts. Ich lehne mich also entspannt zurück. I love you, blinkt es beruhigend von der Windschutzscheibe. Mitten auf der Straße wendet jemand, um zur letzten Ausfahrt zurückzufahren. Allah wird’s schon richten.
    Ich sehe zum Fenster hinaus, wir fahren über einen Zubringer auf die nächste Stadtautobahn, links und rechts wird die Straße gesäumt von halb fertigen Wohnblocks, unverputzten Hochhäusern und fensterlosen Plattenbauten. Manche Blocks sehen genauso unfertig aus wie der Rohbau daneben, aber es hängt Wäsche vor den Fenstern. Die Luft ist gelb und dunstig, eine Mischung aus gepflegtem Smog und Sand und Dreck, die der Wüstenwind durch die Stadt trägt. Das hat den gleichen Effekt wie Nebel oder ein Aufenthalt unter Wasser: Beim Tauchen oder Schnorcheln kann man nur schwer einschätzen, wie weit man sehen kann, das Blau ist trügerisch. Man hat den

Weitere Kostenlose Bücher