Das Glücksprojekt
Düne sitzen bleiben, sondern führt mich in einem großen Kreis um Pyramiden und Sphinx herum und beschließt, ich müsse unbedingt noch das Papyrus- und Parfümmuseum besichtigen. Wehmütig sehe ich der Sphinx hinterher, während mein Reittier seinem Besitzer hinterhertrottet. Das Papyrusmuseum und das Parfümmuseum stellen sich als ein Papyrusbildchen- und Parfümladen heraus, betrieben vom Onkel meines Pferdeführers.
»Was ist das denn?«, fragt Tobias, als wir spätabends auf seiner Dachterrasse in Kairo sitzen und den Smog und die Lichter der Stadt genießen. »Ein Lesezeichen«, sage ich. Das war das billigste, was es in dem Laden gab, ich wollte die Leute ja nicht völlig enttäuschen. Irritiert sieht er mich an. »Und du warst nicht in den Pyramiden drin?«
»Nein.«
Er beugt sich zu mir und sieht mir tief in die Augen. »In keiner der drei? Du warst nicht in der Großen Galerie? Im Sargraum?«
»Nein.«
Seine Freundin Miriam schenkt mir noch ein Glas Wein ein und schlägt sich auf meine Seite: »Darum ging es ihr doch auch gar nicht, sie hat doch gesagt, sie wollte vor den Pyramiden ihr Ego zurechtrücken und Ehrfurcht bekommen.«
»Ja«, Tobias lehnt sich wieder zurück in die Kissen, »und hat sie Ehrfurcht bekommen? Nein! Ein Lesezeichen hat sie bekommen.« Ich haue ihm dafür gegen sein Schienbein. Während wir köstliche Falafel in scharfe Dips tauchen und Fladenbrot herumreichen, erzähle ich den beiden von der Idee des Magazins , zu den Ausstellungsorten klassischer Kunst zu reisen, und ich frage sie, was sie zum Niederknien bringen könnte. »Rothaarige Frauen«, sagt Tobias sofort und sieht verträumt in die Ferne. Dafür bekommt er jetzt von Miriam einen Tritt vors Schienbein. »Ich war mal in den USA«, sagt sie, »im Yosemite-Nationalpark. Da gibt es diese riesigen Mammutbäume, wo du denkst, das kann gar nicht echt sein. Da stand ich in dem Stamm eines solchen Baumes, der war bestimmt 10, 15 Meter dick. Ich stand mitten in einer lebenden Pflanze, deren Ende bis in den Himmel ragte. Diese Kraft und Schönheit der Natur, das war zum Niederknien.«
Tobias nickt: »Das Wetterleuchten, als wir in einer Holzhütte in Lappland waren, da hatte ich das Gefühl, bei etwas Heiligem dabei zu sein.« Und so tauschten wir die halbe Nacht Heiligtümer aus. Das Freunde- und Freund-eines-Freundes-Netzwerk hat folgende Wallfahrtserlebnisse hervorgebracht:
Tikal, eine antike Stadt der Maya in Guatemala
einen Wal in freier Wildbahn sichten
die Küste Grönlands
das eigene Kind zum ersten Mal sehen
Machu Picchu
Die Geschichte der heiligen Johanna
Grand Canyon
Die Nische, die die zerstörte Buddha-Statue in Bamiyan hinterlassen hat
Die Tempelanlage in Borobudur
Auf dem Himalaja stehen
Stonehenge
Solidarität
Keith Jarrett das Köln-Konzert spielen hören
Obwohl viele ein Erlebnis in der Natur nennen, sind es doch immer unterschiedliche Dinge, die die Menschen bewegen. Tobias fragt mich an diesem Abend auf der Dachterrasse, ob ich nicht beim Blick in den Himmel allein schon mein Ego auf Normalmaß bringe. Ich sehe nach oben. Es ist Nacht und dunkelgelb, ein Flugzeug blinkt in der Höhe. »Nein«, sage ich.
Am nächsten Tag fahren wir in Richtung Rotes Meer durch die Wüste. Wir übernachten in einem kleinen Ort auf der Halbinsel Sinai, im Hof des weiß getünchten Hotels liegen Teppiche und Kissen auf dem Boden und wir strecken bei Tee und Brot die reisemüden Füße aus. Tobias sieht nach oben, über uns im schwarzen Nachthimmel leuchten unendlich viele Sterne. »Pass auf«, sagt er und zieht mich nach hinten, sodass wir Kopf an Kopf in die Nacht schauen. Ich befürchte, er will mir den Großen Wagen oder das kleine Brikett oder so etwas zeigen, was ich sowieso immer sofort wieder vergesse.
»Da oben ist die Venus«, erklärt er und deutet mit seinem Zeigefinger auf einen hellen Stern. »Sie liegt zwischen Erde und Sonne, genau wie der Merkur. In größerem Abstand kreisen mit uns um die Sonne der Mars, der Jupiter, der Saturn mit seinen Ringen, Uranus, Neptun und Pluto. In ständiger Bewegung um unsere Sonne befindet sich unser Sonnensystem, eines unter vielen anderen Sonnensystemen, manche mit mehreren Sonnen darin. Und Millionen von Sternen. Das ist die Milchstraße, unsere Galaxis. Die neben Milliarden anderer Galaxien im unendlichen Universum existiert.«
Ich sehe nach oben und versuche mir die Unendlichkeit vorzustellen. Tobias stützt sich auf einen Ellenbogen und sieht mich an. »Kennst du Google
Weitere Kostenlose Bücher