Das Glücksprojekt
Eindruck ewiger Weiten und plötzlich taucht einen halben Meter vor einem ein Schatten auf, den man nicht kommen sah. So ist die Luft in Kairo, nur in Gelb statt Blau.
Über den Hochhäusern erscheint in der Ferne hin und wieder ein Schatten, groß wie ein Berg über einem Dorf im Tal. Ich blinzle und da ist er wieder. So müssen Fata Morganas aussehen. Jetzt erkenne ich es deutlicher: ein Berg, nur ein bisschen dunkler als die Farbe der Luft, erhebt sich hoch hinter den dreckfarbenen Gebäuden. Wie heruntergekommene Lego-Spielzeughäuser sehen sie aus, vor dem monumentalen, riesenhaften und einzigartigen Ziel meiner Reise: den Pyramiden von Gizeh.
Der Gegensatz zwischen den halb zerfallenen Häusern, die fensterlos und wirr in verschiedene Richtungen schauen, und der einfachen geometrischen Form der Pyramide, die majestätisch dahinter aufragt, der Gegensatz zwischen der Armut und dem Symbol einer glorreichen Vergangenheit, diese Deutlichkeit zwischen Vergänglichem im Vordergrund und Ewigkeit im Hintergrund stellt mir die Härchen auf und treibt mir die Tränchen in die Augen. Kurz bevor der Pathos so richtig die Sau rauslassen kann, macht es »Prooooootz!« und unser Taxi gibt den Geist auf. Ergriffenheit passt nicht zu Autopannen, man kann nicht ergriffen ein altes Taxi schieben. Das erklärt auch, warum die Ägypter nicht permanent mit Tränen in den Augen in Richtung Pyramiden schauen – die sind mit ihren Pannen beschäftigt. I love you, blinkt es von der Windschutzscheibe, während wir auf der linken Überholspur das Auto schieben.
Das nächste Taxi, das mich zum Weltwunder bringen soll, ist weiß. Es bleibt nicht liegen, es hat ein richtiges Radio und sogar eine Klimaanlage, aber jetzt fehlt mir das blinkende Herz, das mir so penetrant seine Liebe versicherte.
»Klack!« macht es und die Knöpfe der Türverriegelung gehen nach unten. »Wegen der Verkäufer«, sagt mein Taxifahrer in perfektem Englisch und schließt auch die Fenster. Und da sind sie schon. Am Fuß einer Anhöhe, an deren Ende der Parkplatz liegt, laufen uns junge Männer entgegen, winken mit Souvenirs und Händen, aber weder die Hitze noch die Aufregung noch die Stimmen dringen in mein kühles weißes Taxi. Leider ist am Parkplatz Endstation. Ich muss eine Eintrittskarte kaufen und durch einen Sicherheitscheck wie am Flughafen. Zusammen mit einem Pack rotgesichtiger Engländerinnen, die über ihre Spaghettiträger quillen, trete ich aus dem Sicherheitsbereich und darf jetzt endlich zu den Pyramiden, keine 500 Meter trennen uns mehr. Es ist aber nicht ganz einfach, dorthin zu kommen, weil mir lauter freundliche Ägypter im Weg stehen, die mich mit ihren einmaligen Angeboten bekannt machen möchten:
Ich gehe langsam vorwärts, lehne in alle Richtungen höflich dankend ab und bin damit so beschäftigt, dass ich mit der Stirn fast gegen die Pyramide knalle. »Jetzt hätte ich dich beinahe übersehen«, hört so eine Pyramide bestimmt auch nicht jeden Tag. Ich sehe mich um, was für alle Verkäufer und Anbieter das Signal ist, dass ich eventuell doch interessiert sein könnte, und zu einem kleinen Menschenauflauf um meine Person führt. Glücklicherweise zückt eine der roten Engländerinnen ein paar Meter weiter ihr Portemonnaie und hat somit eine höhere Anziehungskraft als ich. Ich kann mich unbemerkt zurückziehen und setze mich in gehörigem Abstand auf einen Stein. Ich möchte dieses Gefühl der Ergriffenheit wieder heraufbeschwören, diese Ehrfurcht, vor einem Relikt der Antike zu stehen, an dem Jahrtausende vorbeigezogen sind und das mein winziges Drama in die absolute Bedeutungslosigkeit verbannt. Aber irgendwie klappt es nicht. Es ist heiß, ich habe Durst und ständig kommt jemand mit einem Kamel oder einem Pferd vorbei und fragt, ob ich damit nicht um die Pyramiden reiten will. Es kommt nicht so die rechte Stimmung auf.
Steter Tropfen höhlt und so weiter – ich setze mich schließlich tatsächlich auf ein Pferd. Auf ein weißes, ich bin da noch konditioniert von den Taxis. Ich kann auf eine Düne in der Nähe reiten, wo es keine Verkäufer und keine Engländerinnen gibt, die Chancen stehen dort besser, etwas Pathos zu kultivieren. Ich sehe mich schon im Schneidersitz im heißen Sand sitzen, eine Brise streicht mir durch das Haar und ich blinzle in Richtung der Pyramiden, während eine Ahnung vom Sinn des Lebens mir ein zauberhaftes Lächeln ins Gesicht zaubert. Leider möchte der Besitzer meines Pferdes nicht so gerne auf der
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