Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen
das als Warnung, Kate. Lass die Finger von meinem Freund. Das nächste Mal wird es viel, viel schlimmer werden.“
Und mit diesen Worten sprang sie kopfüber in den Fluss.
Zwei Dinge geschahen gleichzeitig: Erstens begriff ich, was hier los war. Sie ließ mich hier zurück, in dem vollen Bewusstsein, dass ich Angst vor dem Wasser hatte. Es gab keine Party. Sie hatte das alles geplant.
Das Zweite passierte, als Ava auf das Wasser traf. Statt ihr hinterherzusehen, wie sie wegschwamm, hörte ich ein Übelkeit erregendes Knacken, als ihr Kopf auf einen Stein aufschlug. Unddann trieb sie auch schon schlaff in der Strömung davon.
Ich zuckte zusammen. Während ich ihr noch wie paralysiert nachsah, hatte das Wasser Ava bereits mehrere Meter weitergetragen, aber sie bewegte sich nicht. Sie musste beim Aufprall bewusstlos geworden sein.
Gut.
Nein, nicht gut, widersprach der moralische Teil meines Gehirns hartnäckig. Gar nicht gut. Wenn sie tatsächlich ohnmächtig war und nicht bloß benommen, würde sie ertrinken, falls die Strö-mung sie nicht an Land trieb.
Innerlich stöhnte ich laut auf. Sollte sie ruhig leiden – der Fluss war nicht besonders breit. Irgendwann würde sie schon wieder zu sich kommen und ans Ufer gelangen.
Aber diese Moralapostelstimme in meinem Kopf machte mich darauf aufmerksam, dass ich, sollte Ava etwas passieren, verantwortlich wäre. Und auch wenn sie versucht hatte, mir einen grausamen Streich zu spielen, konnte ich den Gedanken nicht ertragen, dass einem weiteren Menschen in meinem Leben etwas Furchtbares geschah. Ich hatte bis an mein Lebensende genug von Tragödien.
Mein Körper hatte sich in Bewegung gesetzt, bevor ich eine Entscheidung treffen konnte. Im Schwimmen mochte ich eine Niete sein, aber rennen konnte ich. Im Laufen streifte ich die hochhackigen Schuhe ab und hatte schon die Hälfte der Strecke bis zu Ava zurückgelegt, bevor ich überhaupt begriff, was ich da tat. Die Strömung schien stark zu sein, aber nicht so stark, wie ich anfangs gedacht hatte. Schnell hatte ich Ava eingeholt und machte schlitternd Halt am matschigen Ufer, bevor ich mich einem vollkommen anderen Problem gegenübersah – dem Wasser.
Bilder aus meinen Albträumen schossen durch meinen Kopf, aber ich schob sie beiseite. Ava trieb mit dem Gesicht nach unten in der Mitte des Flusses, ich konnte unmöglich warten, bis sie näher kam. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich ließ sie ertrinken, oder ich sprang ihr hinterher in den Fluss. Mir blieb kaum eine Wahl. Widerwillig stürmte ich in das eiskalte Wasserund kämpfte mich mit mühseligen, von der Strömung gebremsten Schritten platschend und spritzend in ihre Richtung. Mit dem Zeh blieb ich an einem Stein hängen und fiel, tauchte der Länge nach unter, und bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte die Strömung mich auch schon erfasst.
Panik stieg in mir auf, sobald mein Kopf unter Wasser geriet. Aber ich war bei Bewusstsein, und auch wenn ich nicht schwimmen konnte, war der Fluss wenigstens nicht tief. Anders als in diesen grauenvollen Albträumen gelang es mir, den Boden unter den Füßen zu finden und mich aufzurichten, und ich stieß durch die Oberfläche. Ich kämpfte mich vorwärts, um Ava zu erreichen, und sobald sie in Reichweite war, packte ich sie am Arm und riss sie in meine Richtung. Mein Herz schlug schmerzhaft schnell in meiner Brust, aber ich versuchte so ruhig wie möglich zu atmen. Wenn Ava aufwachte, würde ich sie umbringen. Und wenn es auf dieser Welt so etwas wie Gerechtigkeit gab, würde sie genäht werden müssen und eine Narbe in ihrem hübschen kleinen Gesicht davontragen.
Ich zog Ava ans Ufer und aus dem eisigen Wasser heraus, unvorstellbar erleichtert, wieder trockenen Boden unter den Füßen zu haben. Obwohl sie höchstens eine halbe Minute im Fluss gewesen war, wurde ihre Haut schon blau, und ich drehte sie auf die Seite, in der Hoffnung, es würde helfen, falls sie Wasser geschluckt hatte.
„Ava?“, fragte ich und ließ mich neben ihr auf die Knie sinken. Meine Zähne klapperten. „Ava – wach auf.“
Sie regte sich nicht. Ich beugte mich über sie, wartete darauf, dass sie Luft holte, aber sie tat es nicht. Ich schluckte den Kloß des Entsetzens in meinem Hals hinunter. Ich musste sie beatmen.
Schnell rollte ich sie auf den Rücken und drückte auf ihr Zwerchfell: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs …
Ich blickte auf sie hinab und wartete. Nichts.
„Wenn das ein Scherz sein soll …“ Ich
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