Das Gold der Maori - Das Gold der Maori
ist sie ja dort …«
»Und wandert jeden Tag hinunter zum Strand, um nach dir auszuschauen!«, höhnte Lizzie. »Ich weiß nichts von Amerika, Michael, aber von London aus schicken sie viele Schiffe hin. Jede Woche oder so geht eins rüber, meist voller Leute. Es ist also wahrscheinlich ein großes Land. Wie willst du sie da finden? Und wovon soll sie leben mit ihrem Kind? Himmel, Michael, für Mädchen ist so was nicht einfach!«
Michael wirbelte herum. »Was willst du damit sagen? Dass Mary Kathleen sich vielleicht erniedrigt hat? Dass sie womöglich … so eine sein könnte wie du?«
Michaels ganze Verachtung für gefallene Mädchen lag in seinen Worten. Lizzie wandte sich ab, aber dann wallte Wut in ihr auf, und sie stellte sich ihm doch noch einmal entgegen.
»Natürlich nicht! Absolut unmöglich!«, sagte sie spöttisch. »Mary Kathleen ist viel zu heilig, um für einen Bissen Brot die Beine breitzumachen. Zweifellos würde sie lieber sterben. Vielleichtist sie ja überhaupt schon ins Wasser gegangen mit ihrem Bankert und ihrer Schande! Manchmal ist das nämlich die einzige Wahl, die ein Mädchen hat, Michael. Huren oder Sterben. Tut mir leid, dass ich für Letzteres bislang zu feige war. Wobei es in Bezug auf Verdammung aufs Gleiche rauskommt: Hure oder Selbstmörderin, Gott schickt beide in die Hölle. Nur Michael Drury macht da Unterschiede. Wie kannst du bloß damit leben, dass mein erhurtes Geld dich freigekauft hat?«
Lizzie lief fort. Sie nahm sich kaum Zeit, ihre wenigen Habseligkeiten aus der gemeinsamen Kabine zu holen. Michael war mit David Parsleys Reisetasche fein heraus, Lizzie hatte während der Reise einige Sachen für ihn geändert, wobei sie eigentlich nur die Hosen auslassen musste. Sie selbst dagegen begann wieder mit einem einzigen Kleid und dem altmodischen Hut. Lizzie überlegte kurz und spielte mit David Parsleys Börse, die sie unter der Matratze ihrer Koje versteckt hatten. Viel war nicht mehr darin, aber die Hälfte der übrig gebliebenen zehn Shilling gehörte ihr. Die Hälfte? Trotzig nahm Lizzie das ganze Geld, bis hin zum letzten Penny. Sie hatte dafür gearbeitet. Und Michael nahm es ihr auch noch übel. Teufel noch mal, wenn er für jede Nacht bezahlt hätte, die sie ihm auf dieser Reise geschenkt hatte …
Lizzie setzte ihren Hut auf und rannte die Gangway hinunter zum Kai des beschaulichen kleinen Hafens. Sie musste Michael vergessen, es war Zeit für einen Neuanfang. Irgendwo in diesem hübschen Land, in dem die Luft klarer schien, als Lizzie es je irgendwo für möglich gehalten hatte, gab es bestimmt einen Platz für sie. Sie würde sich eine Stellung suchen, und vielleicht klappte es ja doch noch mit dem gottgefälligen Leben.
Lizzie schritt über die neuen, sauberen Straßen von Nelson und fühlte ihre Wut abflauen. Sie hoffte, dass sie neuem Mut und Optimismus Platz machen würde, aber tatsächlich wich sie nur einer unendlichen Traurigkeit. Egal wie Michael sie behandelt hatte – sie hatte ihn geliebt. Und jetzt würde sie ihn womöglich niemals wiedersehen.Michael war aufgewühlt, als er kurze Zeit später ebenfalls von Bord ging. Einerseits wütend – er hatte das Fehlen des Geldes inzwischen bemerkt –, andererseits verwirrt. Der Streit mit Lizzie lag ihm noch auf dem Herzen. Schließlich war nicht alles, was sie über Kathleen gesagt hatte, gänzlich von der Hand zu weisen. Natürlich würde Kathleen sich niemals so weit erniedrigen, dass sie hurte oder stahl! Und ganz sicher würde sie auf Michael warten. Aber es mochte tatsächlich schwierig sein, sie aufzuspüren.
Die Sache ließ Michael nicht los, während er durch die Straßen Nelsons streifte und eigentlich dringendere Probleme zu lösen hatte. Wo zum Beispiel konnte er genug Geld für seine nächste Mahlzeit verdienen? Wie sollte es weitergehen? Aber all das verblasste vor der Überlegung, wo Kathleen stecken mochte und wie sich das herausfinden ließe.
Erst nach langem Grübeln fiel Michael die Lösung wie Schuppen von den Augen: Father O’Brien! Der Priester wusste sicher, wo Kathleen steckte. Michael musste ihm nur schreiben und sich danach erkundigen. Aber vorher brauchte er eine Adresse, an die Father O’Brien seine Antwort richten konnte …
Michael atmete auf und kam nun endlich dazu, sich mit wachen Sinnen umzuschauen. Verdammt, dieses Nelson hatte den saubersten und ordentlichsten Hafen, den er bislang gesehen hatte! Alles wirkte gediegen und überschaubar. Aber dennoch: Es war ein
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