Das Gold der Maori - Das Gold der Maori
schlanke Mann, der sich in Bezug auf zerrissene Kleidung und wind- und wettergegerbte Haut in keiner Weise von den anderen Kerlen im Lager unterschied, war auch in keiner glücklichen Lage. Er schwebte mehr oder weniger zwischen Himmel und Erde – die Leiter schwankte bedenklich, aber keiner der Zuschauer machte Anstalten, sie festzuhalten. Zudem entzog sich die Zeltplane, die der Wind losgerissen hatte, hartnäckig seinen Versuchen, sie wieder zu befestigen. Eigentlich hätte er drei Hände gebraucht, um sie an ihrem Platz zu halten, die Nägel zu fixieren und zu hämmern. Er bemühte sich, nicht zu fluchen, als er sich bei einem erneuten Versuch, das schlüpfrige Ding festzunageln, auf den Daumen schlug.
Lizzie griff behände nach der Leiter und dann nach einer Holzlatte, die neben dem Eingang lag. Sie lehnte sie an die Zeltwand, um die Plane halbwegs sicher an ihrem Platz zu halten. Der Reverend begriff sofort, was sie bezweckte, und schlug rasch die Nägelein. Kurze Zeit später waren die Männer im Zelt vor Schnee und Wind geschützt.
Peter Burton kletterte die Leiter hinunter und lächelte Lizzie zu. »Da hätte ich zumindest nicht die Ungeschickteste geschwängert!«, rief er dem Freudenmädchen, das Lizzie zu ihm geführt hatte, zu und erntete neue Lachsalven. »Allerdings hätte nur ein Dummkopf diese Frau verlassen!«
Er verbeugte sich höflich vor Lizzie. »Vielen Dank, Ma’am. Bitte verzeihen Sie den Leuten, hier herrscht ein rauer Ton. Mein Name ist Peter Burton, Reverend der Church of England, auch wenn es nicht so aussieht.«
Unter dem Schal, den der Reverend um den Hals geschlungen hatte, kam jetzt auch der Priesterkragen zum Vorschein.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
Lizzie nickte und fragte nach Michael. Ihr Herz hämmerte heftig. Wenn er nun wirklich von diesem Mann beerdigt worden war … immerhin hatte sie mehr als sieben Monate nichts von ihm gehört.
»Michael Drury. Ein Ire. Er ist natürlich katholisch.«
Peter Burton winkte ab. »Das interessiert hier keinen – zumindest, solange Rom uns nicht auch einen Priester schickt. Ich wäre für jede Hilfe dankbar. Michael Drury … hm … so ein Großer, Dunkelhaariger?«
»Er hat blaue Augen«, sagte Lizzie, und ihre eigenen leuchteten bei der Erinnerung an Michaels verwegenen Blick auf.
Der Reverend lächelte. »Ja, ich glaube, ich kenne ihn. Er ist mit einem meiner Gemeindemitglieder zusammen.«
Lizzies Herz wurde zu Eis, und ihr Lächeln gefror. Das konnte nicht sein. Er konnte hier nicht schon ein Mädchen gefunden haben, er …
»Chris Timlock«, sprach Burton schon weiter. »Ein netter Kerl, kam mit der ersten Welle Goldsucher aus Wales.«
Lizzie atmete auf.
»Aber die zwei sind nicht hier, die gehen eigene Wege. Sind anirgendeinem Bach etwas flussaufwärts und fest davon überzeugt, da Gold zu finden.«
»Und?«, fragte Lizzie. »Wie sind die Aussichten?«
Der Reverend zog die rechte Augenbraue hoch. »Da müssen Sie mich nicht fragen. Ich bin Theologe, von Goldwaschen hab ich keine Ahnung. Aber es heißt wohl, hier führten alle Bäche Gold. Fragt sich eben nur, wie viel. Kann ich Ihnen vielleicht einen Tee anbieten? Ich bin halb erfroren!«
Lizzie, die ebenfalls bibberte, nahm gern an. Gleich darauf fand sie sich in einem einigermaßen warmen Raum wieder, wohl der improvisierten Teeküche für das Hospital. Dort standen roh gezimmerte Tische und Bänke. Auf einem Ofen köchelte ein Eintopf in einem riesigen Kessel.
»Wann immer es möglich ist, schenken wir hier ein warmes Essen aus«, meinte Burton. »Natürlich nur für die Bedürftigen, aber alle kriegen wir nie satt. Was wiederum Krankheiten begünstigt. Im Herbst hatten wir Cholera, jetzt Grippe und Lungenentzündungen. Und Tuberkulose. Bei ein paar von den Männern ist nichts zu machen. Die werden mir bald wegsterben.« Der Reverend seufzte und schenkte Lizzie einen Becher Tee ein.
»Werfen die Goldfelder denn so wenig ab?«, fragte Lizzie. »In Kaikoura – da wo ich herkomme – heißt es, das Gold läge hier auf der Straße.«
Burton lachte. »Sie sind doch auf den üblichen Wegen hergekommen«, neckte er sie. »Sind Sie da nicht drüber gestolpert? Nein, Mrs. Drury.«
»Miss Portland«, verbesserte Lizzie. Der Reverend sah sie forschend an. »Miss Portland, die meisten hier verdienen nicht mehr als ein Arbeiter in der Stadt. Oft weniger, das ist der Durchschnitt. Leider ist das Leben hier erheblich teurer als in Dunedin oder Kaikoura. Haben Sie den
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