Das Gold des Bischofs
verflochtenen Haselzweigen und Lehm. Geoffrey nahm an, dass Simon hinter dem Haus Vieh hielt und die Mauer das Umherstreunen verhindern sollte. Er teilte seine Vermutung Roger mit, der darüber in wieherndes Gelächter ausbrach.
»Denk mal drüber nach, wo du hier bist, Junge: im Norden von England. Und was liegt hinter dem Norden von England? Schottland. Und was erstreben die schottischen Heiden mehr als alles andere? Englische Rinder. Diese Mauer soll keine Kühe drinnen halten, sondern die Schotten drauÃen. So was hat jeder hier in Durham, der sich was aus seinen Tieren macht.«
»Reichen die Verteidigungsanlagen der Burg nicht aus, um eine gelegentliche Schar Viehdiebe abzuwehren?«, wunderte sich Geoffrey. Er hatte seine Zweifel, ob die Schotten tatsächlich so geschickte Viehdiebe waren, wie Roger ihn glauben machen wollte.
»Die Schotten sind wahre Teufel«, stellte Roger entschieden fest. »Aber um die mach ich mir im Augenblick keine Sorgen, sondern um Simon.« Er verschränkte die Hände und ging in die Hocke, um Geoffrey einen Steigbügel beim Klettern zu bieten.
»Du willst, dass ich gehe?«, fragte Geoffrey, überrascht von dieser Dreistigkeit. »Du machst das! Er ist dein Bruder.«
»Ich bin zu schwer für dich«, wandte Roger ein und hielt die Hände weiter verschränkt.
»Das bist du nicht. Ich kann dich leicht hochheben.«
Roger starrte unglücklich auf die Mauer und kratzte sich am Kopf. »Dann du zuerst, und ich komme nach.«
»Was soll das denn?«, erkundigte sich Geoffrey. Rogers Verhalten verwirrte ihn. Es hatte seinem Freund noch nie etwas ausgemacht, heimlich Grund und Boden anderer Leute zu betreten, und Geoffrey verstand nicht, warum er sich jetzt darüber Gedanken machte. »Was ist da hinter dieser speziellen Mauer, was dir Unbehagen bereitet?«
»Unbehagen?«, fragte Roger zurück und verschränkte wieder die Hände. »Mir ist nicht unbehaglich. Mach schon, Geoff. Mir wird langsam kalt vom Rumstehen. Du gehst zuerst, und ich bin gleich hinter dir.«
Geoffrey stieà einen verärgerten Seufzer aus, stellte aber den Fuà auf Rogers Hände. Sogleich fühlte er sich mit übertriebenem Schwung emporgehoben und wäre beinahe auf der anderen Seite wieder heruntergefallen. Er blieb rittlings auf der Mauer sitzen und streckte Roger die Hand entgegen. Der wich zurück.
»Ist der Hof leer? Siehst du irgendeine Bewegung in den Schuppen?«
»Ich sehe nichts dergleichen«, antwortete Geoffrey und befand, dass jemand schon sehr verzweifelt sein musste, bevor er in den baufälligen Schuppen auf Simons Hof Unterschlupf suchte. Sogar durch die Schneedecke nahm Geoffrey einen schwefligen Gestank wahr, der darauf hinwies, dass dort vor kurzem noch ein besonders übel riechendes Tier gehaust hatte.
»Bist du sicher?«, fragte Roger skeptisch. »Normalerweise gibt es dort ein Schwein.«
»Aha, vor einem Schwein hast du also Angst?«, stellte Geoffrey fest, als er endlich die wahre Ursache für das Unbehagen seines Freundes entdeckte. »Das muss ja ein beeindruckendes Tier sein, wenn es den gefürchteten Roger von Durham zum Schlottern bringt.«
»Es ist ein beeindruckendes Tier!«, bestätigte Roger heftig. »Es ist wilder als jeder wilde Keiler und dazu noch hinterhältiger und rachsüchtiger als dein Hund. Es wird sich an mich erinnern.«
»Tatsächlich? Und was hast du dem Tier getan, um dich so unauslöschlich in sein Gedächtnis einzubrennen?«
»Es war ein Missverständnis, und ich habe nur versucht zu helfen. Aber mit einem Schwein kann man nicht diskutieren. Es sieht mich, und schon ist es blind vor Mordlust.«
»Also ganz wie du in einer Stadt voll Sarazenen«, bemerkte Geoffrey. »Nun kannst du vielleicht verstehen, was die empfinden, wenn Burschen wie du sich in voller Rüstung auf sie stürzen und Ãbles im Sinn haben.«
»Das ist nicht dasselbe. Das Schwein ist zu allem entschlossen und hat Zähne wie Dolche.«
»Dann vielen Dank, dass du mich mit dem Ungeheuer allein lassen wolltest. Aber es ist kalt hier oben. Nimm meine Hand und lass uns fertig werden, damit wir endlich die Karte beim Prior abgeben können, wo sie hingehört.«
»Da kommt jemand«, flüsterte Roger heiser. Verstohlen blickte er die Gasse entlang und achtete nicht auf die dargebotene Hand. »Ich halte
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