Das Gold des Columbus
ragte die Capitana aus dem Wasser, je nach Wellengang so hoch wie ein dunkler Berg oder nur wie ein flaches langes Haus mit den Aufwölbungen der vorderen und hinteren Deckaufbauten. Das Mittelschiff verschwand immer wieder unter den Brechern.
Pablo versuchte zu denken. Nach der ersten begeisterten Erleichterung über seine Rettung war ihm klar geworden, dass er ja noch immer in der tobenden See trieb, nur von seinem Seil gehalten. Und dieses Seil war an der Reling des Mittelschiffs befestigt. Und dort war auch das Einfallstor für die Sturzseen.
Er musste zurück an Bord. Und das Meer würde ihm dabei helfen. Und sein Schutzengel auch.
Er spürte, wie die nächste Welle sich hob, und begann, kräftig zu schwimmen. Sie trug ihn mit sich empor, hob ihn über die Reling weg und hätte ihn gegen den Großmast oder die gegenüberliegende Reling oder sogar wieder ins Meer geschleudert, wenn sein Seil ihn nicht gehalten hätte. So raste sie ohne ihn weiter und Pablo plumpste auf die Planken.
Als Fernan das Bendita la hora sang, färbten die Strahlen der untergehenden Sonne die Wolkenberge rot. Himmel und Wasser glühten wie ein Flammenmeer.
Pablo faltete die Hände und sang inbrünstig mit: »Buen viaje haremos si Dios quisiere 53 .«
Der Wind ließ nach, das Wasser beruhigte sich, schließlich wurde sogar der Regen schwächer.
Und dann machte sich auf der Capitana lähmendes Entsetzen breit: Die Bucht, umsäumt von entwurzelten, zerbrochenen Baumriesen, war leer. Die Santiago de Palos , die Gallega und die Vizcaina waren verschwunden.
kapitel 7
E s stank. Nach verfaultem Fleisch? Oder Rattenkot? Oder der Brühe aus Brackwasser und Teer, vermischt mit der Salzlake vom Pökelfleisch? Oder dem Bilgensumpf 53 unter der Pumpe? Oder nach verwesenden Rattenkadavern?
Pablo verschwendete nur einen flüchtigen Gedanken an diese Möglichkeiten. Er tastete sich durch Dunkelheit und Gestank bis zu den Säcken mit den Kichererbsen, breitete seinen Mantel darüber und streckte sich darauf aus. Gestank war eher zu ertragen als der Dauerregen an Deck und die Enge im Mannschaftsraum. Hier war es wenigstens nur feucht und nicht triefnass, und man konnte sich ausstrecken und kriegte nicht Püffe von allen Seiten, obwohl man sich zusammengerollt hatte wie ein Igel.
Noch vor wenigen Wochen hatte Pablo den Geruch in den Laderäumen als so widerlich empfunden, dass ihm die Einteilung zur Arbeit dort wie eine Strafe vorgekommen war. In regelmäßigen Abständen mussten die Vorratsräume ausgeräuchert und die Ladung umgeschichtet werden. Dadurch wollte man das Ungeziefer vertreiben und verderbende Lebensmittel frühzeitig entdecken.
Doch die Schädlinge kümmerte das nicht. Pablo hatte bei jedem Öffnen der Luke ihre huschenden Schatten gesehen und das Rennen und Rascheln gehört, wenn das Licht die stinkende Dunkelheit nur notdürftig erhellte. Weder räuchern noch umschichten half. Mäuse und Ratten, Kakerlaken, Flöhe und Wanzen waren nicht totzukriegen. Seit Wochen regnete es ununterbrochen bei stickiger Schwüle. Das Fleisch faulte, das Brot schimmelte, das Öl wurde ranzig, der Essig schlug um, die Fässer mit dem Trinkwasser stanken nach Jauche.
Pablo schlief ein, kaum dass sein Kopf den Mantel berührte, trotz seiner nassen Kleider. In den ersten Tagen nach dem Hurrikan hatte er dauernd darüber nachgegrübelt, wer an Bord ihn hatte umbringen wollen. Denn ein Mordversuch war es gewesen, das ließ sich nicht abstreiten. Niemand hatte ahnen können, dass er sich mit seinem Tau an der Reling festgebunden hatte. Das war seine Rettung gewesen. Und niemand wäre verdächtigt worden. Jeder hätte angenommen, dass der Grumete Pablo vom Hurrikan ins Meer gerissen worden war.
Eigentlich kam nur der Bordschütze Pedro infrage. Aber Rodrigo, Alejo und Felipe, die Kumpels aus seinem Rancho, waren auch finstere Gesellen. Alle stammten aus dem Baskenland und suchten ständig Streit mit den anderen Ranchos, besonders mit den Andalusiern.
Fernan fand die Vorstellung von einem Mörder an Bord unheimlich und wollte sie deshalb am liebsten nicht glauben. Vielleicht hatte er sich das auch nur eingebildet? Oder es hatte sich bloß jemand an ihm festhalten wollen?
Doch Diego Méndez war ebenfalls skeptisch, wenn auch aus einem anderen Grund. »Weißt du, was meine Mutter gesagt hat, als ich Seemann werden wollte? ›Da lernst du fluchen, trinken, stehlen, Unzucht treiben, morden, betrügen, verleumden - und sonst nichts.‹ Seeleute haben nicht
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