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Das Gold von Karthago

Titel: Das Gold von Karthago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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wuchsen. Auf der anderen Seite stand etwas wie ein kleiner Tempel: Vier schlichte, feine Säulen aus fleischfarbenem Marmor trugen ein Giebeldach, unter dem nichts war als eine Liege aus kostbarem schwarzen Holz. Zu beiden Seiten des Bauwerks erstreckten sich tausendfarbene Blumenbeete, die von Bienen wimmelten. Der Duft, der von den Pflanzen ausging, war leicht und süß. Als Bomilkar tief Luft holte, schien der Geruch sich zu wandeln; die Süße blieb, erhielt aber einen Hauch Bitterkeit, und das, was leicht schien, fächerte sich auf zu einem vieltönigen Ruchgebinde.
    »Das ist sehr schön«, sagte Laetilius leise. »Hier kann man sitzen und fragen, ohne je eine Antwort erhalten zu wollen.«
    Bomilkar sah ihn erstaunt an.
    Daniel war die drei Stufen hinaufgegangen und stand nun neben der dunklen Liege; er sah zur Kopfseite des Gebäudes.
    Dort lag ein zweites, kleineres Becken neben einem Felsen, der von Schlingpflanzen überwuchert war. Von der Liege aus sah man einen gemaserten Stein, mit blutroten Adern und verwirrenden Mustern aus Quarzkristallen. Eine Steinplatte, nicht viel größer als der Oberkörper eines Mannes.
    »Sanftes Feuer«, murmelte Daniel, so leise, daß Bomilkar es kaum verstand, obwohl er unmittelbar neben ihm war. »Unbegreiflich milde Vielfalt. Die Kostbarkeit …« Er seufzte.
    Verwundert sah Bomilkar zwei dicke Tränen, die sich aus den Augen des Mannes lösten und die Wangen hinabrannen.

    »Warum weinst du?« Laetilius klang beklommen.
    »Weil ich sie nicht gekannt habe«, sagte Daniel. »Sie muß alles Licht und alle Wärme gewesen sein.«
    »Wer?«
    »Die Gattin, die liebliche Herrin. Mutter der Töchter Salambua und Sapanibal, Mutter der jungen Löwen Hannibal, Hasdrubal und Mago. Sie ist drüben gestorben, auf Sizilien, kurz vor dem Ende des Kriegs, bei Magos Geburt. Er hat sie verbrennen lassen, die Asche in einem goldenen Becher bewahrt und diesen hier vergraben.« Leise, als sei es ein Gebet, sagte er: »Die liebliche Herrin, die Löwengebärende. Das hier ist Hamilkars Garten.«
    Sie standen, schauten, schwiegen; irgendwann sagte Laetilius: »Es gibt Orte, an denen man eine Anwesenheit spürt. Hierhin kommen die Götter, wenn sie der Menschen überdrüssig sind.«
    Plötzlich stieß Daniel einen langen lästerlichen Fluch aus und lief zu einer Stelle neben dem Stein. Sie folgten ihm und sahen, wie er eine verdorrte Pflanze aus dem Boden zog, der offenbar aufgewühlt worden war.
    »Wer wagt es …«, sagte er durch die Zähne.
    Dann hob er etwas hoch. Ein verknotetes Tuch, das noch nicht lange neben dem Stein im Boden gelegen haben konnte. Er legte es aufs Gras und öffnete den Knoten.
    Das als Beutel verwendete Tuch enthielt Münzen, aus Gold und aus Silber.

4. KAPITEL
    D aniel war hinter Laetilius aufgesessen, mit dem er sich angeregt unterhielt. Bomilkar nutzte den Rückweg für Berechnungen.
    Ein Handwerker mußte etwa einen halben shiqlu am Tag verdienen, um sich und die Familie zu ernähren. Sklaven kosteten keinen Lohn, nur Unterkunft und Verpflegung; Feldarbeiter, die mehr oder weniger zum Gut gehörten, dort lebten und aßen und schliefen, erhielten einen shiqlu für fünf Tage Arbeit. Die Münzen, die Daniel gefunden hatte, stammten aus allen möglichen Gegenden – silberne Tetradrachmen aus Syrakus (im Gegenwert von etwa zweieinhalb Silber shiqlu ) waren dabei, aber auch alte persische Goldstatere, von den Hellenen Dareiken genannt, und makedonische Münzen aus Ägypten, dazu alle gängigen punischen Gold- und Silberprägungen, vom halben shiqlu bis zur schweren Goldmünze im Nennwert von zehn Gold shiqlu , was beim derzeitigen Gold-Silber-Verhältnis hundertzwanzig Silber shiqlu entsprach, zwei Minen. Insgesamt belief sich der Wert des Fundes auf mehr als fünfhundert shiqlu : fast drei Jahre Arbeit eines Handwerkers, an die acht Jahre eines Tagelöhners.
    Der Beutel hatte nicht lange in der Erde gelegen; das Leinen war nur oberflächlich verschmutzt, die über dem Beutel abgestorbene Pflanze noch nicht verrottet. Reiche Leute, sagte sich Bomilkar, bewahren eine derartige Menge Münzen nicht auf; sie wissen, daß es dafür Banken gibt. Und wenn doch, dann vergraben sie sie nicht in fremden Gärten. Wenn die ungeheure Summe einem Arbeiter gehörte, hätte dieser zweifellos Anspruch erhoben und Strafe für die Entweihung des beinahe geheiligten Orts hingenommen. Natürlich hatte es begehrliche Blicke gegeben,
als die Arbeiter zusammengerufen und befragt wurden, aber

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