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Das Gold von Karthago

Titel: Das Gold von Karthago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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sah sich um, fand aber weder Laetilius noch Rushan; er schätzte, daß erst etwa ein Drittel der Leute die Mulde erreicht hatte.
    Er gehörte zur nächsten Gruppe, die klettern würde, sobald die Offiziere Hannibals Befehle weitergegeben hatten.
    »Wir sind von hinten gekommen; der Tempel ist auf der anderen Seite des Bergs. Die rechnen frühestens in zwei Tagen mit uns, und ganz sicher nicht von hier. Rauf mit euch, möglichst leise; kein Geräusch mehr, sobald wir oben sind. Wir seilen uns zur Festung ab; alles weitere sagt euch der Häuptling, oben.«
    Es war ein langer, harter Anstieg; außer dem eigenen Keuchen und gelegentlichem Steinschlag hörte Bomilkar tatsächlich nichts. Im ungewissen Nachtlicht klebten Männer wie Fliegen am keineswegs honigsüßen Hang, krochen oft auf allen vieren, weil es nur selten eben genug war für aufrechten Gang. Irgendwann versagten die Beine den Dienst, aber als er sich an einen stachligen Strunk klammerte, um beim Verschnaufen nicht den Halt zu verlieren, sah er, daß er schon fast oben war.
    Das Keuchen der Brust, das Beben der Beine – er kicherte leise, als ihm Zeilen eines derben Lieds einfielen, das von ersprießlicheren Formen der Anstrengung erzählte und von ähnlichen Erschöpfungen. Allmählich ging sein Atem ruhiger; nun hörte er das Keuchen der anderen, und hin und wieder waren kaum halblaute Zurufe zu vernehmen. Ehe er weiterstieg, bedachte er seinen seltsamen Schwebezustand,
weniger am Hang als in der Truppe. Er versuchte sich zu erinnern, wer Bomilkar mit siebzehn gewesen war. Von dieser Nacht aus betrachtet ein Fremder, ein Knabe, unerfahren und sicher, die Welt zu kennen. Wer war dieser andere Siebzehnjährige, dem achthundert Männer blindlings folgten? Männer einer Truppe, die ein einziges, vollkommen abgestimmtes Instrument höchster Harmonie zu sein schien; nicht blindlings gehorchend (er verbesserte sich in Gedanken), sondern mit Stolz, dem gelassenen Stolz von Meistern, die wissen, wie gut sie einzeln und zusammen sind; die wissen, daß ein Großer sie führt. Das Gefühl, Teil dieser Truppe zu sein – die steinern starre See der nächtlichen Landschaft – die eisig fernen Sterne … Bomilkar schnappte nach Luft; etwas wie ein Messer, gleißende Schärfe und maßlose Lust, schnitt in ihm.
    Weiter; nicht grübeln. Er stieg, aber beim Klimmen grübelte er doch. Über den Stein, der wegrutschen wollte, dann dem Fuß Halt gab; über den Rausch, den nüchternen, gelassenen, stolzen Rausch, der ihn angesteckt hatte. ›Kann ein Rausch jenen anstecken, der nichts getrunken hat?‹ fragte er sich wieder und wieder; er dachte an den Knaben, den Siebzehnjährigen, dem die Männer folgten wie dem Vater, dem unvergleichlichen Barkas, und er machte sich klar, daß er den Jungen nicht kannte, daß aber die Haltung der achthundert Krieger, das reibungslose Zusammenspiel, die Wucht dieser Wirklichkeit ihn dazu gebracht hatten, Hannibal hinzunehmen wie ein Erdbeben oder eine Springflut.
    Auf dem Grat kauerten sie hinter Blöcken, starrten hinab ins Tal. Deutlich waren die Gebäude zu sehen: der Haupttempel, die Nebenhäuser, die starken Mauern mit Türmen – vier Türme, ein wehrhaftes Viereck, umgeben von dunklen Linien, die Schatten sein mochten oder ein Graben. Zwei kleine Feuer brannten, westlich und nördlich des Tempels; hin und wieder sah man die Umrisse schreitender Männer, die Wache hielten. Also doch nicht so ganz sorglos. Aber es
waren wenige, vier, soweit Bomilkar blicken konnte, und sie hielten sich an jenen Seiten auf, die bei einem Angriff vom Tal her unmittelbar bedroht wären. Unterhalb des Felsens lag nichts als die Rückseite des Vierecks, an den Berg gebaut, vielleicht sogar in den Berg hinein; jemand murmelte etwas von Höhlen.
    Weiter rechts sah Bomilkar eine schlanke Gestalt, umrissen vom hellen Himmel. Es mußte Hannibal sein, der eben Anweisungen gab. Flüsternd wurden sie weitergetragen: Die Seile seien nicht lang genug, jeweils zwei müßten zusammengebunden werden; es gebe kaum Brocken, um sie zu befestigen, also sollten jeweils zwei Männer ein Seil halten, an dem ein dritter absteige. Zweihundert Männer zum Halten, hundert, die gleichzeitig lautlos hinuntergehen, dann noch einmal hundert, und so weiter, bis sechshundert unten sind, die letzten dann entsprechend – ein Drittel steigt ab, zwei Drittel halten… und die allerletzten?
    »Bringen die Pferde um den Berg. Oder reiten nach Kastulo und melden die Niederlage. Los, reden

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