Das goldene Meer
chinesischen Tee. »Wir werden es auf fünfhundert bringen oder mehr. Und was dann? Wer nimmt uns auf?«
Es war eine Frage, auf die ihnen zu dieser Stunde niemand eine Antwort geben konnte. Die »Menschenfischer«, wie deutsche Zeitungen die Helfer der Liberty of Sea nannten, störten die sich normalisierenden Beziehungen der Bundesrepublik im ostasiatischen Raum. Vietnam war kein politisches Thema mehr.
Sechs Tage später – man hatte noch zwei Flüchtlingsboote mit zusammen 76 Vietnamesen aufgenommen – erschien Funker Buchs mit einem Blatt Papier auf der Brücke.
»Isch han da nen komischen Spruch objenomme –« sagte er in gepflegtem Kölsch, »dat is'n janz verdötschte Sach.«
»Was sagt der Mensch?« Larsson starrte Buchs und dann Büchler an. »Kann er nicht Deutsch sprechen? Das klingt ja entsetzlich.«
Beleidigt reichte Buchs die Notiz an Büchler und schwieg. Der Erste überflog die Zeilen, sah dann Buchs erschrocken an und wandte sich wieder zu Larsson um.
»Herr Kapitän«, sagte Büchler lauter als sonst. »Da scheinen wir einer ungeheuren Sauerei auf die Spur gekommen zu sein. Hören Sie sich an, was Buchs da aufgefangen hat: ›Truc an Florida Sun: Sind einverstanden mit Ihrem Vorschlag. Liefern fünfundzwanzig, davon neun Frauen. – Florida Sun an Truc: Nicht mehr Frauen? – Truc an Florida Sun: Können vierzehn abgeben zu Sonderpreis. – Florida Sun an Truc: Einverstanden. Wo Übergabe? – Truc an Flo rida Sun: Folgende Position als Warteplatz: 9.10 Nord/107.25 Ost. Ende.‹« Büchler ließ das Blatt sinken. »Herr Kapitän, da werden auf offener See Menschen verkauft. Fünfundzwanzig Menschen, darunter vierzehn Frauen.«
»Ich bin ja nicht taub.« Larsson hatte sich über die Seekarte gebeugt. »Die Position ist 80 Seemeilen vom Mekong-Delta entfernt.«
»Und dort liegt jetzt Truc mit seiner Piratenflotte. Ein Sperrriegel zwischen Küste und uns. Wir müssen mit äußerster Kraft dorthin, ehe das Geschäft stattfindet.«
»Müssen?« Larsson sah seinen Ersten kalt an. »Ich muß gar nichts. Ich führe eine Art Lazarettschiff, aber kein Kriegsschiff.«
Büchler verzichtete auf eine weitere nutzlose Diskussion, verließ die Brücke und lief hinunter zu Dr. Herbergh. Es dauerte keine zehn Minuten und Herbergh stand vor Larsson, den Zettel in der Hand. Larsson sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Ist Ihnen klar, was das bedeutet?« rief Herbergh erregt.
»Ich bin ja kein Kopf ohne Gehirn.«
»Sie weigern sich, diesen unmenschlichen Akt zu verhindern?«
»Ich weigere mich, bei Kampfhandlungen mitzumachen. Und es muß zwangsläufig zu einer solchen kommen! Dieses Schiff ist neutral, und es bleibt neutral. Ich bin dafür verantwortlich.«
»Da werden Menschen verkauft. Larsson! Vor unseren Augen verkauft man Menschen. Und Sie zögern, das zu verhindern? Was bedeutet da noch Neutralität? Wir greifen keinen Staat an, wir bekämpfen einen Piraten! Eine Bestie!«
»Womit?« Larsson machte eine weite Armbewegung. »Mit vier Schrotflinten, acht Pistolen und zwei Karabinern? Truc hat eine Kanone an Bord und eine Vierlingsflak. Ich denke nicht daran, mein Schiff zusammenschießen zu lassen! Ihr verdammtes deutsches Heldentum nutzt Ihnen da gar nichts!«
»Wir haben das Schiff gechartert!« sagte Herbergh eiskalt und scharf. »Sie sind weisungsgebunden, Larsson.«
»Einen Scheiß bin ich! Die Humanität hört da auf, wo mein Schiff versenkt werden kann! Mit vierhundert Menschen an Bord! D aran sollten Sie denken!«
»Ich stelle fest –« Dr. Herberghs Stimme war wie ein Peitschenschlag – »daß Ralf Larsson ein Feigling ist. Ich werde von Ihrem Verhalten der ganzen Welt berichten.«
Larsson schwieg, aber die Art, wie er Herbergh anstarrte, war voll hemmungsloser Wut.
»Ich beuge mich unter schärfstem Protest«, sagte er rauh. »Sollten wir diesen Wahnsinn überleben, werde ich die Weltöffentlichkeit davon unterrichten. Dieses verfluchte deutsche Draufschlagen!«
Er ging zu dem stummen Rudergänger und übernahm selbst die Steuerung. Büchler, der unterdessen auch wieder auf die Brücke gekommen war, stellte sich neben ihn. Larsson warf einen wütenden Blick auf ihn. Die Liberty fuhr einen großen Bogen und steuerte dann auf die Küste zu.
»Wann können wir die Position erreicht haben?« fragte Herbergh den Ersten Offizier.
»Bei voller Kraft in etwa drei Stunden.«
»Hoffentlich kommen wir nicht zu spät.«
»Schneller geht es nicht. Das ist ein Containerschiff und
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