Das goldene Meer
»Ich bestehe darauf: Hahn!«
In diesem Augenblick ertönten die Alarmglocken und dröhnte die Sirene. Siebenmal kurz, einmal lang. Julia, Anneliese und Starke zuckten zusammen.
»Ein Boot!« rief Starke. »Endlich ist die Warterei vorbei.«
An Deck herrschte das übliche Getümmel bei Alarm. Die Flüchtlinge standen an der Bordwand und starrten über das Meer. Auf der Nock standen Dr. Herbergh, Kapitän Larsson und Hugo Büchler und beobachteten durch ihre Ferngläser den Grund des Alarms.
Backbord, in einer Entfernung von etwa sechs Seemeilen, war ein Schiff erschienen, wie aus dem Meer getaucht, so plötzlich war es da. Ein weißes Schiff, das auf die Funksprüche von Funker Buchs keine Antwort gab, das keine Flagge gesetzt hatte, das neben der Liberty mit gleichem Kurs fuhr und die Geschwindigkeit mühelos hielt.
»Da ist er!« sagte Vu Xuan Le und sah Stellinger, der neben ihm stand, mit einem geradezu wilden Triumph an. »Das ist sein Schiff … Da ist Truc Kim Phong …«
3
Truc Kim Phong setzte sein Fernglas ab, lächelte zufrieden und sagte zu seinem neben ihm stehenden Steuermann: »Das sind sie.«
Sein weißes, wunderschönes Schiff lief mit kleiner Fahrt durch das ruhige Meer, eine Luxusyacht, die in jedem internationalen Hafen bewundert werden würde, wenn sie jemals in einen solchen Hafen einlaufen könnte. Bis jetzt kannten das Schiff nur die Männer der Hafenbehörde des kleinen Ortes Chantabon in Thailand, die von Truc einen guten monatlichen Zuschuß erhielten, oder die wenigen Bewohner einer winzigen Insel, Trucs »Heimatadresse«. Wer das Gehalt eines thailändischen Beamten kennt, wird verstehen, daß vor allem Familienväter auf irgendeinen Nebenverdienst angewiesen sind. Dafür kann man auch einmal weggucken, wenn nachts von einem Schiff Männer, Frauen und Kinder – vor allem aber hübsche, junge Frauen aus Vietnam – an Land getrieben werden und dort auf geschlossenen Lastwagen verschwinden. Warum soll man einen gutgehenden Handel unterbinden? Die einen handeln mit Früchten oder Stoffen, die anderen mit Maschinen oder Erdöl, und wenn einer nun Opium, Heroin oder Menschen verkauft, so ist auch das eine Handelsware wie jede andere.
Wie alles bei Truc war auch sein Fernglas ungewöhnlich. Es hatte nicht den üblichen schwarzen, kleinnoppigen Bezug oder die bei den Seefahrern so beliebte grüne Gummiummantelung, sondern es war vergoldet und hing über Trucs Brust wie ein riesiges Amulett. Wenn nichts die Eitelkeit Trucs ausdrückte, das Fernglas sagte alles darüber aus. An diesem Tag trug er zwar nicht seinen schneeweißen Anzug, der wie eine Kapitänsuniform geschnitten war, sondern einfache, ausgewaschene Jeans und einen hellblauen Pullover, aber dieses goldene Fernglas um seinen Hals dokumentierte: Hier ist der Herr des Südchinesischen Meeres. Die Geißel des goldenen Meeres. Der unbekannte Schrecken vor Vietnams Küste, dessen Namen jeder flüstert, dem aber noch niemand ins Gesicht gesehen hat, ohne diesen Anblick zu überleben.
»Du willst dich ihnen zeigen?« fragte der Steuermann mit besorgtem Unterton in der Stimme. Er war einer der wenigen, der so mit Truc sprechen konnte. Vu Tran Loc gehörte zu den ersten Getreuen, die mit einem kleinen Holzboot auf Menschenjagd gegangen waren und dann die Beute unter sich teilten. Das war lange her, von den frühen Freunden waren nur drei übriggeblieben, einer im Hafen von Chantabon, einer auf der Insel und Vu als Steuermann auf dem neuen herrlichen Schiff. Die anderen hatte Truc ›bestraft‹, sie waren eines Tages, einer nach dem anderen, plötzlich verschwunden, und keiner fragte nach ihnen. »Du willst wirklich zu ihnen?«
»Ja.«
»Ich halte das für zu gefährlich, Truc.«
»Was ist daran gefährlich, Vu? Sie haben kein Kriegsschiff, sondern einen alten, umgebauten Container. Was können sie uns tun?«
»Uns fotografieren.«
»Was haben sie davon?«
»Die Fotos werden um die Welt gehen, Truc! In allen Zeitungen und Illustrierten erscheinen, in allen Fernsehsendern.«
»Einen Tag lang, dann sind wir wieder vergessen. Was kümmert es die Welt, was auf dem Meer vor Vietnam passiert?« Truc hob wieder sein goldenes Fernglas an die Augen und beobachtete den größer werdenden dunklen Punkt. Sie liefen, noch immer mit kleiner Fahrt, auf ihn zu. »Vu, du kennst die Welt nicht. Du bist reich geworden, hast eine Ananasplantage in Thailand, drei Geliebte und einen Mercedes in der Garage, und wir werden zusammen noch viel, viel
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