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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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drückte das Gesicht in die Kissen und gab auf Fragen keine Antwort mehr. Was sie erzählen konnte, blieb in ihr, wie mit einer Steinplatte verschlossen.
    Xuong erkannte es, erhob sich, streichelte über ihren zuckenden Kopf und verließ das Zimmer. Dann suchte er auf dem Schiff nach einem der Ärzte. Dr. Herbergh stand als Wache oben auf der Nock und suchte mit dem Feldstecher das Meer ab, Dr. Starke war wieder einmal unauffindbar. Aber Dr. Burgbach war auf ihrem Zimmer und verfaßte ein Lehrbuch der deutschen Sprache. Buchstaben, gezeichnete Bilder, Worte. Mann-Frau-Mutter-Vater-Bruder-Schwester-Essen-Trinken-Apfel-Reis-Fisch-Fleisch. Morgen sollte der Unterricht beginnen.
    »Verzeihen Sie einem Lästigen, daß er Sie stört«, sagte Xuong höflich mit einer tiefen Verneigung. »Ich bin gekommen, um Hilfe zu holen. Ut ist sehr krank.«
    »Ut?« Anneliese warf die Farbstifte, mit denen sie gerade einen Fisch gemalt hatte, auf den großen weißen Karton, der eine Anschauungstafel werden sollte. »Vor einer Stunde war sie noch ohne Beschwerden! Worüber klagt sie denn? Ich sehe sofort nach ihr.«
    »Sie hat mir erklärt, sie sei eine Hexe.«
    »Du lieber Gott.« Anneliese begriff sofort, im Gegensatz zu dem ahnungslosen Xuong, die Zusammenhänge. Die Nerven. Das war vorauszusehen. Einmal mußte bei Ut der Zusammenbruch kommen. Man kann nicht immerfort die Schmerzen anderer in sich aufnehmen, auch wenn man sie später in die Luft wirft. Welch eine Kraft muß man haben, Schmerzen aus einem Körper zu ziehen. Woher nahm Ut nur diese Kraft, diese kleine, junge, zierliche Frau mit drei Kindern?
    »Ist es ein Nervenfieber?« fragte Xuong.
    »So etwas Ähnliches.« Anneliese zog ihren weißen Arztkittel an und ging mit Xuong hinunter ins Hospital. Auf dem Weg begegneten sie Dr. Starke; er war in Badehose und Bademantel, aus seinem Haar tropfte noch das Wasser. Er breitete beide Arme aus, als er Anneliese sah.
    »Ha! Tat das gut!« rief er begeistert. »Fünfzehn Minuten unter der kalten Dusche. Man ist frisch wie ein Robbenbaby! Und das bei vierzig Grad im Schatten! Schöne Kollegin, Sie wirken etwas von der Hitze ramponiert. Kühlen Sie sich an meinem Körper ab!«
    »Ut dreht durch«, gab Anneliese mit der ihr eigenen Abwehr zur Antwort.
    »Wieso? Was ist denn los?« Dr. Starke hob einen Zipfel des Bademantels hoch und rubbelte sich die nassen Haare.
    »Sie ist völlig aufgelöst, wie Xuong sagt. Sie behauptet, eine Hexe zu sein.«
    »Selbsterkenntnisse fördern den Heilvorgang, das ist eine alte Weisheit.«
    »Dann wären Sie ja wohl unheilbar.«
    »Teufel, Teufel!« Dr. Starke lachte laut. »Zwei zu null für Sie! Ich muß mich anstrengen, dieses Match noch zu gewinnen! Gehen Sie jetzt zu Ut?«
    »Ja.«
    »Ich komme mit.« Er blickte an sich hinunter und strich sich mit beiden Händen über den Körper. »Ein Arzt ist immer ein Arzt, auch in einer nassen Badehose. Aber keine Sorge, schöne Kollegin, ich werde den Bademantel geschlossen halten. Ich will doch die gute Ut nicht erschrecken.« Er schnürte den Bademantel mit dem Gürtel zu und eilte Anneliese nach, die wortlos weitergegangen war. Xuong folgte ihnen in einem kleinen Abstand, wie es sich für einen Niedrigen gehörte.
    Am Bett saß wieder Julia und sprach auf Ut ein, obgleich die kein Wort von dem verstand, was die andere sagte. Aber Ut schien dennoch zu begreifen. Sie weinte nicht mehr und lag mit entspanntem Gesicht auf dem Kissen.
    »Kätzchen als Seelenarzt, das muß man sich merken!« sagte Dr. Starke und kam an das Bett. »Hast du aus deinem reichen Erfahrungsschatz etwas rausgegeben?«
    »Noch nicht. Ut begreift nicht die Zusammenhänge von Namen«, antwortete Julia mit einem feurig-giftigen Blick.
    »Luder!« zischte Dr. Starke leise. Nur Julia hörte das und zog wieder die Lippen kraus.
    Anneliese setzte sich auf einen Hocker an der Wand und gab Xuong ein Zeichen. Mit größter Konzentration beobachtete sie jede Regung in Uts Gesicht, während die mit Xuong sprach. Dr. Starke hatte ihr das lange Hemd hochgeschoben und hörte sie mit dem Stethoskop ab. Ut mußte früher eine schöne Frau gewesen sein, schlank, biegsam wie Schilfrohr, goldhäutig, mit runden kleinen Brüsten. Jetzt war sie verdorrt, ausgelaugt. Die Infusionen der ersten Tage hatten sie gerettet, aber ihr die Schönheit noch nicht wiedergegeben. Konnte sie überhaupt zurückkehren, wenn Ut weiter die Schmerzen anderer an sich zog?
    »Lunge frei«, sagte Dr. Starke und setzte das

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