Das goldene Ufer
Worten vertrieb Diebold den Unmut seiner Mutter und reichte ihr den Arm, um gemeinsam mit ihr Graf Renitz’ Gemächer aufzusuchen.
Als Diebold seinem Vater gegenüberstand, sagte er sich, dass der Aufenthalt in den Badeorten in letzter Zeit nicht mehr so viel bewirkt hatte wie in den vergangenen Jahren. Der alte Herr wirkte kraftlos und war kaum in der Lage, einen vernünftigen Satz auszusprechen.
»Was sagt Ihr?«, fragte Renitz seine Gemahlin gerade. »Ihr wollt Holz schlagen lassen? Aber das wollte ich behalten, bis wieder Not im Land ist und ich ein neues Regiment aufstellen muss, um Napoleon zu vertreiben.«
»Seid Ihr dafür nicht ein wenig zu alt? Außerdem ist Napoleon bereits vor Jahren auf einer fernen Insel gestorben!«, antwortete Diebold ungehalten, denn schließlich sollte der Erlös des Waldes ihm zukommen. Auch wollte er, wenn er erst einmal verheiratet war, weder auf seine Reisen verzichten noch auf die kleinen Tänzerinnen, die ihm unterwegs das Leben versüßt hatten.
Auch seine Mutter fühlte Ärger in sich aufsteigen. Sie hatte ihrem Gemahl bereits etliche Male ihre Pläne ausgeführt, doch das schien den alten Mann nicht zu kümmern, denn er brachte immer wieder dieselben albernen Einwände vor.
»Ich muss Diebold recht geben, mein Herr Gemahl. Napoleon ist tot, und zum Kriegführen seid Ihr wahrlich zu alt. Den Erlös für das Holz benötigen wir, um Diebolds Hochzeit standesgemäß feiern zu können. Oder habt Ihr vergessen, dass er in drei Monaten mit Komtesse Aldegund von Rossipaul in den heiligen Stand der Ehe eintreten wird?«
»Diebold will heiraten? Der ist doch noch lange nicht trocken hinter den Ohren. Der soll warten, bis er erwachsen ist!« Graf Renitz lachte bellend auf und erlitt sofort einen schweren Hustenanfall. Während sein Kammerdiener ihm ein Taschentuch reichte, gab seine Gemahlin Diebold ein Zeichen, mit ihr den Raum zu verlassen.
Auf dem Flur schüttelte es sie. »Dein Vater ist kaum mehr ansprechbar! Die ganze Zeit geht es schon so. Ich weiß mir bald keinen Rat mehr.«
Diebold warf der Tür, die ein Lakai hinter ihnen geschlossen hatte, einen kurzen Blick zu und verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Wenn das so ist, sollten wir meinen Vater für unzurechnungsfähig erklären lassen. Dann kann ich seine Nachfolge antreten!«
»Was willst du?« Elfreda meinte, nicht recht gehört zu haben. Doch dann begriff sie, was er vorhatte. Sobald er der Herr auf Renitz war, konnte er so leben, wie es ihm gefiel, ohne sich um andere scheren zu müssen. Sie traute ihm sogar zu, sie auf den Witwensitz derer von Renitz bei Kassel zu verbannen, sollten ihm ihre Einwände und Mahnungen nicht behagen. Doch sie war nicht bereit, für ihn zurückzustehen.
»Noch nie hat ein Renitz seinen Besitz vor seinem Tod aus der Hand gegeben, und daran wird sich auch jetzt nichts ändern! Du wirst dich damit abfinden müssen, die Nachfolge deines Vaters erst dann anzutreten, wenn unser Herr im Himmel ihn zu sich gerufen hat. Und nun geh auf dein Zimmer! Es wäre mir angenehm, wenn du dort auf Immas Anwesenheit oder die eines anderen Flittchens verzichten würdest. Dies gehört sich nicht für einen Mann, der bald heiraten wird.«
Die Abfuhr war deutlich. Bisher hatte Diebold geglaubt, das Ein und Alles seiner Mutter zu sein. Nun aber begriff er, dass ihr mehr noch an der Macht über den Besitz seines Vaters lag. Es würde einen harten Kampf bedeuten, ihr das Zepter aus der Hand zu nehmen. Wütend kehrte er ihr den Rücken und zog sich in seine Zimmerflucht zurück.
Als er sein Schlafzimmer betrat, kam es ihm so vor, als wäre er wieder ein kleiner Junge, der von der Mutter wegen einer Nichtigkeit zu Bett geschickt worden war. Das würde er nicht auf sich sitzen lassen. Er trat zur Tür und forderte einen der Lakaien, die auf dem Flur standen, auf, Imma zu holen.
Der Mann verneigte sich und ging mit gravitätischen Schritten davon. Wie ein Storch, spottete Diebold im Stillen. Der Anflug von guter Laune schwand jedoch sofort wieder, als der Diener allein zurückkehrte. »Ich bedauere, doch Ihre Erlaucht hat Imma und den anderen Mägden verboten, die Gemächer des Herrn Grafen während Eurer Anwesenheit zu betreten.«
In seiner Wut versetzte Diebold dem Lakaien eine Ohrfeige. So wäre er am liebsten auch mit seiner Mutter verfahren. Nur der Gedanke, dass sie noch das Heft auf den Renitzschen Besitzungen in der Hand hielt und ihm jederzeit den Brotkorb höher hängen konnte, hielt ihn davon
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