Das goldene Ufer
hatte, denn Walther liebte sie auf eine sanfte Art, die ihr keine Schmerzen bereitete. Sie selbst empfand jedoch nichts mehr und hasste Diebold für das, was er ihr angetan hatte, aus tiefstem Herzen.
6.
B ereits am nächsten Tag begann der Holzeinschlag. Da Walther sich vom ersten Sonnenstrahl bis zur Dämmerung im Wald aufhielt, hatte Gisela genug Zeit, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Beinahe trotzig und um ihren eigenen Widerwillen zu bekämpfen, sorgte sie dafür, dass sie fast jede Nacht miteinander schliefen. Zwar wunderte Walther sich ein wenig über ihre scheinbar gewachsene Sinneslust, nahm das dargebotene Geschenk jedoch gerne an. Seine offenkundige Freude half Gisela, sich wieder daran zu gewöhnen. Die angenehmen Empfindungen, die sie vor der Vergewaltigung durch Diebold genossen hatte, kehrten jedoch nicht zurück.
Wochen später hatten sie alles, was sie für die Reise nach Amerika benötigten, in der Truhe gesammelt, die sie auf die Reise mitnehmen wollten. In derselben Nacht wurde Gisela durch starke Übelkeit geweckt. Ihr Mageninhalt kam so rasch hoch, dass sie gerade noch den Kopf aus dem Bett strecken konnte, bevor sie sich erbrach.
Die würgenden Geräusche weckten Walther. »Was ist mit dir?«, fragte er besorgt und legte ihr tröstend den Arm um die Schulter.
»Mir ist schrecklich übel«, gab sie mühsam zurück.
»Aber du hast doch gestern nur ein wenig Schlehenwein getrunken.«
Nur eine weitere Attacke ihres Magens verhinderte eine Antwort. Als das Würgen endlich nachließ, fühlte Gisela sich so matt, dass sie eigentlich nur noch schlafen wollte. Der Geruch des Erbrochenen trieb sie jedoch auf die Beine. Wenn sie nicht wollte, dass ihr erneut schlecht wurde, musste sie den Boden aufwischen.
Als alles gesäubert war, schien bereits die Sonne durch die Bäume. An diesem Tag sollte Walther einen Bremer Holzkaufmann in den Forst führen. Damit er nicht nüchtern gehen musste, bereitete Gisela rasch ein Frühstück für ihn. Ihr selbst wurde bereits beim Gedanken an Essen übel, und so wäre sie, nachdem ihr Mann das Haus verlassen hatte, am liebsten ins Bett zurückgekrochen. Doch kaum stand sie an der Schlafzimmertür, wurde sie von der Einsamkeit im Forsthaus förmlich erdrückt und empfand mit einem Mal den Wunsch, in Cäcilies Küche zu sitzen, wie sie es früher getan hatte, und mit der Köchin und Luise Frähmke zu reden. Kurz entschlossen putzte sie sich die Zähne, um den widerlichen Geschmack im Mund loszuwerden, und zog ein Kleid an, in dem sie sich bei ihren Freundinnen sehen lassen konnte.
Unterwegs überlegte sie, ob sie nicht doch die Vergewaltigung durch Diebold erwähnen sollte. Sie hätte so gerne Trost und Verständnis erfahren. Luise Frähmke und Cäcilie waren so liebe Menschen, doch die Empörung über den jungen Grafen konnte sie dazu bewegen, ein paar deutliche Worte zu sagen. Damit aber würde sie vor allen Leuten und vor allem vor Walther als geschändete, entehrte Frau dastehen.
Als Gisela auf dem Weg ins Schloss Imma begegnete, hatte sie das Gefühl, die Magd sähe mit einem verächtlichen Blick über sie hinweg. Sie fragte sich, ob Diebold vor diesem Weib damit geprahlt hatte, auch sie genommen zu haben. Zuzutrauen war es ihm, und sie glaubte auch nicht, dass er dabei bei der Wahrheit blieb. Doch wenn Walther auf diese Weise von der Sache erfuhr, würde auch er annehmen müssen, dass sie sich Diebold ohne Gegenwehr hingegeben hatte. Ihr wurde schwindelig, und sie trat mit einem Gefühl in die Küche, als hätte sich alle Welt gegen sie verschworen.
Cäcilie begrüßte sie jedoch genauso munter wie sonst auch und wies ihre Helferinnen an, sich um das Mittagessen zu kümmern. »Willst du etwas trinken?«, fragte sie.
Obwohl Gisela brennenden Durst verspürte, schüttelte sie den Kopf. »Danke, nein. Mir geht es heute nicht so gut. In der Früh ist mir furchtbar übel geworden.«
»Was?« Cäcilies Kopf ruckte herum, und sie sah Gisela durchdringend an. »War dir schon öfter übel?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Wir sollten noch abwarten. Aber wenn sich das wiederholt, könnte das heißen, dass du ein Kind bekommst. Ich habe zwar selbst keines geboren, doch Osma hatte die gleichen Anzeichen, bevor sie ins Wasser ging, das arme Ding.«
Es war gut, dass Cäcilie in dem Augenblick durch das Fenster nach draußen schaute, denn Gisela wurde kalkweiß. Wenn sie vor kurzem schwanger geworden war, konnte dies bedeuten, dass ihr Kind nicht von Walther,
Weitere Kostenlose Bücher