Das goldene Ufer
schlimmer vorkam, trug ebenso dazu bei, dass sie jeden Tag die Jungfrau Maria anflehte, die Reise bald enden zu lassen. Trotzdem versuchte sie, alle Beschwernisse klaglos zu ertragen, um Walther nicht zu enttäuschen.
Immerhin tat ihr Mann alles, was in seiner Macht stand, um ihr den Aufenthalt in dieser hölzernen Hölle halbwegs erträglich zu machen. Er hatte Bertrand noch zweimal bestochen, um ein Stück Wurst für sie zu bekommen. Doch diese Zusatzausgaben konnten sie sich nicht mehr lange leisten, denn ihre Barschaft war schon so stark zusammengeschmolzen, dass es kaum noch für den Kauf eines Stück Landes reichte, das sie ernähren konnte, geschweige denn für all die anderen Ausgaben, die auf sie zukamen. Aus diesem Grund beschloss Gisela, sich mit dem Essen zu begnügen, das an Bord ausgeteilt wurde, und ansonsten davon zu träumen, wie es sein würde, mit Walther in einem Land zu leben, in dem kein Mann wie Diebold von Renitz einfach über sie verfügen konnte.
8.
E ine Woche später wurde das Wasser schlecht. Das nützte Bertrand aus, um noch mehr Geld aus den Passagieren herauszuziehen. Nur wer zahlte, erhielt etwas Wein, mit dem er die faulige Brühe wenigstens halbwegs genießbar machen konnte.
Von den Versprechungen, die man ihnen zu Beginn der Reise gemacht hatte, war bisher keine einzige eingelöst worden. Doch die meisten Passagiere waren zu eingeschüchtert oder zu abgestumpft, um sich gegen Bertrands Forderungen wehren zu können.
Auch sonst wechselte einiges an Geld den Besitzer. Die Loire erreichte ein relativ ruhiges Seegebiet, das es den Passagieren ermöglichte, sich endlich einmal auf den Boden setzen zu können, ohne hin und her geworfen zu werden. Zwei Männer sicherten sich den Platz unter der Laterne und holten ein Kartenspiel heraus.
»Will jemand mitspielen?«, fragte einer der beiden in die Runde.
»Das vertreibt wenigstens die Langeweile!«, meinte ein Dritter und setzte sich dazu, ein vierter Mitspieler war auch rasch gefunden.
Wie die meisten anderen sah auch Walther den Kartenspielern zu, war aber nach kurzer Zeit der Ansicht, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zuging, denn das Kartenglück war zu sehr auf der Seite derer, die das Spiel vorgeschlagen hatten. Allerdings waren die beiden zu geschickt, um sich beim Falschspiel erwischen zu lassen, und so schlichen ihre Mitspieler, nachdem sie viel Geld verloren hatten, mit hängenden Köpfen zu ihren Plätzen zurück.
Die Gewinner aber hielten Ausschau nach neuen Opfern. Einer von ihnen kam auf Walther zu und zeigte ihm die Karten. »Willst du nicht mitspielen?«
So viel Französisch hatte Walther sich angeeignet, um seine Worte zu verstehen. Trotzdem tat er so, als wäre er der Sprache nicht mächtig, und fragte auf Deutsch: »Was willst du?«
Der Mann machte dann eine Geste, als wolle er Karten verteilen. »Comprendre?«
Walther schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was du willst!«
Da klopfte der Spieler sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und rief seinem Kumpan etwas zu, was Walther für sich mit »dummer deutscher Bauerntölpel« übersetzte. Dennoch war er nicht beleidigt, sondern froh, den Kerl auf so leichte Weise losgeworden zu sein.
Gisela, deren Gespür für die französische Sprache das seine überwog, zwinkerte ihm zu. »Das hast du geschickt gemacht. Ich hätte ungern gesehen, wie du mit diesen Männern spielst. Sie gewinnen mir zu oft.«
»Kannst du erkennen, ob sie falsch spielen?«, fragte Walther.
»Nein! Es ist nicht einmal gesagt, dass sie es tun. Ein erfahrener Spieler gewinnt meist gegen einen, der es nicht so gut kann, es sei denn, dieser hätte eine unglaubliche Glückssträhne. Bei den Soldaten habe ich das oft beobachten können. Da waren auch einige, die andere zum Spielen verleitet und ihnen den Sold abgenommen haben. Einen der Kerle hat man später nach einer Schlacht tot aufgefunden. Er hatte eine Kugel im Rücken – und das beim Vormarsch!«
»Dann sollten wir achtgeben, dass hier nicht so etwas Ähnliches passiert.« Walther beschloss, in der Nacht die Pistole aus dem Koffer zu holen, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Dann strich er Gisela übers Haar und fragte sie, ob sie eine Wurst oder Wein zum Abendessen haben wolle.
»Weder das eine noch das andere«, antwortete sie lächelnd. »Wir werden unser gutes Geld nicht Bertrand und seinem raffgierigen Kapitän in den Rachen stopfen. Wie lange, glaubst du, wird die Überfahrt noch dauern?«
»Das ist eine Frage, die
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