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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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hatte gehofft, im Lauf der Zeit eine Stelle zu erreichen, in der er etwas bewegen kann. Doch in diesem Deutschland der Friedrichs und Wilhelms auf den Thronen ist dies schier unmöglich. Daher plant mein Freund, nach Amerika auszuwandern. Ich schwöre dir, sobald ich mein Studium abgeschlossen habe, werde ich ihm folgen!«
    »Amerika! Wie kommst du auf diese Schnapsidee?«, rief Walther aus.
    Stephan Thode schüttelte energisch den Kopf. »Das ist keine Schnapsidee! Schon Tausende unserer Landsleute haben dieses von Fürsten und ihren Kreaturen verseuchte Deutschland verlassen, um jenseits des Ozeans ein Leben in Freiheit zu beginnen.«
    »Ich bin der Ansicht, dass wir hierbleiben und zu Hause etwas verändern sollten«, wandte Landolf Freihart ein.
    »Wie denn? Wenn einer den Mund aufmacht, bekommt er ihn sogleich von den Gendarmen gestopft!« Mit einer verzweifelten Geste fasste Stephan seinen Bierkrug und trank ihn in einem Zug leer.
    Walther fragte sich, was diese Wandlung seines Freundes innerhalb weniger Wochen bewirkt haben mochte. Zu Semesterbeginn war Stephan bereit gewesen, sich mit aller Kraft für eine nationale Einheit unter demokratischen Vorzeichen einzusetzen. Doch davon war nicht mehr viel übrig. Landolf hingegen setzte sich unter den Studenten immer stärker für die Rechte des Volkes und die Beschneidung der knechtenden Fürstenmacht ein.
    Auch jetzt versuchte Landolf, Stephan davon zu überzeugen, dass es nichts brachte, außer Landes zu gehen. »Wir müssen die Verhältnisse hier ändern, mein Freund. Würden wir Deutschland verlassen, ließen wir alle im Stich.«
    »Sie wollen es doch nicht anders«, antwortete Stephan mutlos. »Schaut euch zum Beispiel den Wirt hier an. Würden wir ihm sagen, wir wollen, dass er schon bald ein Parlament wählen darf, würde er uns auslachen und sagen: Sonst noch was? Gegen diese Duckmäuser, die vor den hohen Herren kriechen, sei es aus Angst oder weil sie sich etwas davon erhoffen, kommen wir aufrechten Staatsbürger nicht an. Aus diesem Grund sollte jeder, der die Fürstenherrschaft nicht länger erdulden will, den Weg nach Amerika wählen!«
    Walther wusste immer weniger, zu welchem Freund er halten sollte. Deutschland verlassen und in die Ferne ziehen war für ihn kein Ausweg, denn bis auf ein paar kleinere Münzen besaß er nichts, und er würde nie im Leben die vielen Taler zusammensparen können, die man brauchte, um nach Amerika zu kommen und dort neu anfangen zu können. Dabei klang es in seinen Ohren durchaus verlockend, der Macht der Fürsten und Könige in Deutschland zu entkommen, die sich mehr auf die Knüppel ihrer Gendarmen und die Bajonette der Soldaten verließen als auf den guten Willen ihrer Untertanen.
    Da er noch einige Zusammenfassungen für Diebold verfassen musste, verabschiedete er sich recht früh von Stephan und Landolf und kehrte ins Haus der Witwe Haun zurück.
    Mittlerweile schneite es, und es wurde früh dunkel. Walther holte im Hof Feuerholz für die kleinen Öfen, die in Diebolds und seinem Zimmer standen, heizte beide ein und setzte sich dann an den Tisch, um zu schreiben.

9.
    D ie Turmuhr hatte bereits neun Uhr geschlagen und das Dienstmädchen ihrer Hausherrin die Tür längst abgeschlossen. Aber Diebold war noch nicht zurückgekehrt. Walther schüttelte den Kopf über so viel Unvernunft. Sein Zimmernachbar wusste doch, wie eisern die Witwe ihre Regeln einhielt. An einem schönen Sommertag war es sicher ärgerlich, bei bestem Tageslicht in sein Quartier zurückkehren zu müssen, während andere noch fröhlich beisammensitzen konnten. Doch zurzeit herrschten frostige Temperaturen, und da war eigentlich jeder froh, in die warme Stube zu kommen.
    Bei dem Gedanken verzog Walther das Gesicht. Besonders warm war es in der Kammer allerdings nicht, denn zu den Zehn Geboten der Witwe Haun zählte auch, dass Brennholz nicht verschwendet werden durfte. Er rieb sich die klammen Finger und schrieb weiter.
    Die Turmuhr schlug noch mehrere Male, bis er alles aufgeschrieben hatte. Nachdem die Tinte getrocknet war, brachte er den Text mit leisen Schritten ins Zimmer des jungen Renitz. Eigentlich hätte Diebold die Seiten vor der morgigen Klausur lesen müssen. Doch es war immer noch nichts von ihm zu sehen oder zu hören.
    Walther nahm an, dass der junge Graf bei einem seiner adligen Freunde Unterschlupf gefunden hatte, und wollte sich gerade zur Ruhe begeben, als ein Schneeball den Fensterladen traf. Verwundert öffnete er das Fenster,

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