Das goldene Ufer
lässt, es sei denn, du findest in Amsterdam oder Antwerpen einen Kapitän, der dich ohne Papiere mitnimmt. Allerdings verlangen die viel Geld dafür. Du musst nicht nur deine Passage bezahlen, sondern dich auch für etliche Wochen mit Proviant eindecken und solltest darüber hinaus noch über genug Geld verfügen, um in der Neuen Welt einen Neuanfang wagen zu können. Ich habe jedenfalls nicht vor, mein Brot gleich im Ankunftshafen als Lastenträger oder Schuldsklave verdienen zu müssen.«
»Darüber könnt ihr euch auch später unterhalten. Ich glaube, da kommen die Gendarmen. Wenn sie uns hier sehen, nehmen sie uns fest!« Landolf Freihart packte seine beiden Freunde an den Ärmeln und zerrte sie weiter.
Doch wohin sollten sie gehen? In einem Wirtshaus konnten sie nicht offen reden, wenn sie nicht riskieren wollten, dass ein Zuhörer ihre Reden als aufrührerisch ansah und den Behörden zutrug. Auch in ihren Quartieren war ein freies Gespräch unmöglich. Walther traute dem Dienstmädchen ihrer Vermieterin und auch der Witwe Haun selbst zu, an der Tür zu lauschen und das, was sie hörten, Leuten zukommen zu lassen, die nichts davon wissen durften.
»Schade, dass Winter ist. Im Sommer könnten wir Studenten ganz anders auftreten«, sagte Stephan Thode seufzend.
Walther winkte mutlos ab. »Was sollte da anders sein?«
»Da könnten wir zum Beispiel geschlossen die Stadt verlassen und von uns aus den Universitätsbetrieb unterbrechen. Das ist schon mehrmals geschehen.«
»Und was hat uns das gebracht, Stephan?«, widersprach Landolf erregt. »Die Studenten mussten am Ende doch klein beigeben. Die Anführer wurden der Universität verwiesen – und das war alles.«
»Was wird diesmal werden?«, wollte Walther wissen. »Sie können doch nicht alle Studenten suspendieren.«
»Zuzutrauen wäre es ihnen. Aber ich glaube eher, dass sie uns zwei Wochen früher in die Ferien schicken und dafür hinterher doppelt ins Gebet nehmen. Es sei denn, der Schuldige stellt sich. Doch das wird er wohl kaum. Es gibt nämlich nur wenige Universitäten, die ihn für sein restliches Studium zulassen würden. Außerdem wäre dies mit erhöhten Kosten verbunden – und das könnte sich höchstens so ein feiner Pinkel wie dein Graf Diebold leisten.« Stephan winkte ab und erklärte, er wolle nach Hause. »Mir wird allmählich kalt«, setzte er hinzu.
»Mir auch«, sagte Landolf und hob kurz die Hand. »Macht es gut, Freunde. Vielleicht sehen wir uns heute noch einmal.«
»Mal schauen!« Stephan klopfte seinen beiden Kommilitonen auf die Schulter und verschwand in Richtung seines Quartiers. Auch Landolf und Walther machten sich auf den Weg nach Hause.
11.
M ittag war noch nicht lange vorbei, da klopfte es an Walthers Zimmertür.
Er öffnete und sah sich dem Dienstmädchen gegenüber, die ihn mit schief gehaltenem Kopf musterte. »Es ist ein Bote im Auftrag von Herrn Professor Artschwager gekommen. Der Professor verlangt, dass Sie sofort bei ihm erscheinen.«
Jule sagte es laut genug, dass Diebold, der im Nebenzimmer vor sich hin döste, davon geweckt wurde. Er öffnete die Tür und warf Walther einen ebenso besorgten wie warnenden Blick zu, der nur eines bedeuten konnte: Verrate mich ja nicht!
Da Diebold sich eine Karriere beim Staat oder beim Militär erhoffte, würde sich eine Strafe wegen Beleidigung eines Staatsoberhaupts mit Sicherheit negativ auswirken. Doch Walther hatte selbst Grund genug, zu schweigen. Zwar schämte er sich, weil er sein eigenes Wohl über das seiner Freunde und der anderen Studenten stellte. Doch wenn er sich aus seiner Abhängigkeit von dem jetzigen oder dem zukünftigen Grafen Renitz befreien wollte, musste er eisern den Mund halten.
Mit diesem Gedanken zog er Rock und Schuhe an, legte den Mantel um und schlang sich einen Schal um den Hals. Bevor er das Zimmer verließ, setzte er noch seinen Hut auf, und während er die Treppe hinabstieg, betete er, dass Professor Artschwager ihn aus einem anderen Grund kommen ließ als wegen einer Narrenkappe aus Schnee.
Seine Hoffnung schwand jedoch rasch, als er kurz darauf vor dem Professor stand. Artschwager wartete gerade so lange, bis sein Hausdiener Walther Hut und Mantel abgenommen hatte, dann blickte er den jungen Mann durchdringend an.
»Ein aufrechter Bürger dieser ehrenwerten Stadt hat berichtet, dass Sie heute Nacht zu später Stunde an Ihrem Fenster hantiert hätten!«
Walther erschrak und versuchte sich aus der Klemme zu winden. »Die Luft in
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