Das Gottschalk-Komplott
sie heute jeden fünfmal so gründlich wie sonst überprüfen.
Tempora mutantur et nos mutamur in Ulis … Vor kurzen Jahren hätte er hier nicht sitzen können, ohne angepöbelt zu werden. Nun widmete ihm höchstens einmal ein Vorbeigehender einen neugierigen Blick, dieser Flughafen war von allen fünf in New York der mit dem meisten Betrieb, im Abfertigungsgebäude drängten sich bei Tag und Nacht Menschenschlangen.
Definition eines Medienkiebitzes: eine vom Aussterben bedrohte Spezies.
Ärgerlich mit sich selbst und der Welt, zwang er seinen Verstand, sich mit einer Sache zu befassen, die ihn eigentlich hätte faszinieren müssen, nämlich der Frage des Verbleibs von Morton Lenigo. Am Morgen hatte er sich üblicherweise von seinen Büro-Computern informieren lassen, obwohl es Samstag war und er für den Mittag keine Sendung fertigzustellen brauchte, weil er viel zu stark beansprucht war von seinem Gewerbe, um auf die Routine zu verzichten. Doch das Lenigo-Problem blieb vorerst so wenig erhaschbar wie eine Anakonda. Nachdem er die Story an dem Tag, als sie losging, versäumt hatte, stand er nunmehr vor der Wahrscheinlichkeit, auch den nächsten Teil nicht mitzubekommen, denn voraussichtlich würde er sich übers Wochenende ereignen. Das Thema des Detroiter Erpressungsgeschäfts angerührt zu haben, bedeutete ihm einen lediglich schwachen Trost. Anscheinend interessierte die Angelegenheit niemanden; die Monitoren hatten eine buchstäbliche Nullreaktion verzeichnet.
Er musterte die anonymen Fremden auf den FluviPisten, dachte: Ist ihnen alles egal?
Antwort: Sie wären mal besser nicht so. Denn Morton Lenigo besaß den Realitätscharakter des Weihnachtsmannes oder des Teufels, war eine lebende Legende, die sie nicht ernst nahmen, bis man sie dazu zwang … und da würde es längst zu spät sein.
Er sah sich vor mehr persönlichen Problemen, als er seit Monaten gekannt hatte, und keines wollte sich irgendwie günstiger entwickeln. Und da er gerade an Niebs dachte: da gab es auch noch Pedro Diablo. In strikter Anpassung an die Bräuche seiner aufgenötigten Blanks-Gastgeber war er aus ihrem Blickfeld verschwunden und würde sich zweifelsfrei erst zur Bürozeit am Montagmorgen wieder zeigen, nicht anders als höflich, gelassen und wenig hilfreich über die Schwelle treten. Flamen hatte auf ein dynamisierendes Erlebnis gehofft, eine Auffrischung seiner erlahmten Vorstellungskraft. Doch ihre Begegnung hatte nichts dergleichen gefruchtet. Nur die erwartungsvolle Spannung war verebbt, hatte ihn irgendwie noch mehr abgeschlafft, so daß er sich fühlte wie ein luftleerer Luftballon.
Und Celia. Es schauderte ihn. Eine kühle, in sich gekehrte Fremde. Das war seine Frau gewesen, dieser wunderschöne Leib hatte sich an ihn gepreßt, sich im Orgasmus aufgebäumt? Dieser Mund sollte ihn geküßt, diese Stimme im Dunkeln zu ihm geflüstert haben? Ja, behauptete sein Gedächtnis. Nein, widersprach sein Verstand. Die Rationalität sagte, das sei eine andere Person mit demselben Namen, den gleichen Gesichtszügen.
Und die Ursache der Veränderung, fragte er sich, liegt sie in mir? Ist sie in jenen unheilvollen Äußerungen umschrieben worden, die diese Ärztin in der Ginsberg-Klinik getan hat, daß die früheren emotionalen Bindungen Symptome von Unreife gewesen seien? Mogshack zufolge war Celia geheilt; nichtsdestoweniger hegte er hier und heute genau die Absicht, Mogshack als Lügner zu entlarven. Weil man Celia etwas Derartiges angetan hatte?
Nein, weil es für Medienkiebize zum Überleben notwendig war, dann und wann einmal eine Heilige Kuh zu schlachten.
Und was nun das Überleben betraf: da war diese unbegreifliche Nullbewertung! Aber mittels unbegrenzter Computerzeit, wie die Bundesbehörden sie ihm zugänglich gemacht hatten, mußte die Quelle der Interferenzen in seiner Show einfach aufzuspüren sein! Die gestrige Sendung, die erste, an deren Erstellung Diablo mitgewirkt hatte – falls man von Mitwirkung reden konnte –, hatte drei Störungen gehabt, zwar kein Rekord, doch schließlich hätte so etwas überhaupt nicht vorkommen dürfen, und nichtsdestotrotz – als er seine paar Dutzend diesbezüglicher Beschwerden erbittert um eine weitere vermehrte, hatte die Verzweiflung des für die Ausstrahlung verantwortlichen Technikers irgendwie einen überzeugenden Eindruck auf ihn gemacht. Der Aufsichtsrat hatte ihn sogar zu seiner nächsten Sitzung eingeladen, um das Problem mit ihm zu diskutieren.
Diese Heuchler!
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