Das Gottschalk-Komplott
habe, hätte ich Berry nicht hier angetroffen, ich hätte mich als erstes an ihn gewandt, weil ich immer dachte, er sei Dans bester Freund, und ich stamme nicht aus New York, nicht mal aus diesem Bundesland, deswegen kenne ich kaum Leute, und … Haben Sie irgendwelche Freunde, Harry?“
„Nein.“
„Nicht? Überhaupt keine? Auch keine Familie?“
Er schüttelte den Kopf.
„Stammen Sie aus dieser Gegend?“
„Aus Nevada.“
„Dann sind Sie weit von daheim, was? Ich komme bloß aus Virginia, aber dort ist’s auch nicht wie in New York …“ Sie biß fest auf ihre Unterlippe, die bebte, eine Frühwarnung, die besagte, daß Tränen drohten.
„Mal angenommen, Berry lauert mir auf, bis er mich allein erwischt …“, meinte sie zu guter Letzt.
„Sie kennen ihn“, konstatierte Madison. „Trauen Sie ihm das zu?“
„Ich weiß es nicht!“ Die Antwort gipfelte in einem Schrei. „Ich habe mir noch nie ausgemalt, er könne ein Feind sein. Er ist der letzte Mensch auf der Welt, von dem ich jemals gedacht hätte, er könne mein Feind werden! O Gott, warum kann man heutzutage keine Freunde mehr haben, so wie früher?!“
„Ich kenne die Antwort darauf nicht“, entgegnete Madison. „Ich hätte erwartet, die Ärzte in der Ginsberg-Psychiatrie wüßten’s, aber das ist nicht der Fall.“
„Ja, man müßte wohl erwarten dürfen, daß Psychologen über diese Problematik Bescheid wissen“, sagte Lyla und ließ sich auf diese floskelhaften Redensarten mit einem schwindelähnlichen Schwebegefühl ein, vergleichbar mit der allerletzten Phase eines Ladromid-Trips. „Weshalb hat man Sie eigentlich dort eingeliefert … falls meine Neugier Sie nicht stört?“
„Wegen zu vieler Fragen“, erwiderte Madison. „In der Art der Frage, die Sie eben gestellt haben. Man hat mir ’ne Knarre in die Hand gedrückt und gesagt, los, geh hin und niete diesen nackten Wilden um, der da mit ’ner steinernen Speerspitze herumläuft, das ist der Feind, und ich fragte, wieso ist das der Feind, und es hieß, er ist kommunistisch gelenkt, und ich sagte, in seiner Sprache gibt’s ja nicht mal ein Wort für ‚Kommunismus’, und darauf sagte man mir, wenn du ihn nicht umlegst, wirst du in Arrest genommen. Also kam ich in Arrest. Ich habe weiter Fragen gestellt, aber nie eine Antwort erhalten, und ich verspürte an sich keine Neigung, mit dem Fragenstellen aufzuhören, aber am Schluß tat ich’s doch. Und da hat man mich rausgeworfen und in die Ginsberg-Klinik gesteckt – das heißt, zuerst in ein anderes Krankenhaus, aber sobald die Ginsberg-Klinik eröffnet worden war, bin ich dorthin gebracht worden. Ich nehme an, weil ich ein Nieb bin. Das war zu einem Zeitpunkt, als es schlecht ausgesehen hätte, einen Schwarzen in einem üblen, altmodischen Krankenhaus sitzen zu haben.“
Lyla schickte sich an, etwas zu äußern, verzichtete darauf, überlegte es sich jedoch nochmals anders. „Harry, sagen Sie mir ganz ehrlich – glauben Sie, es war gerechtfertigt, daß man Sie in eine Psychiatrie eingeliefert hat? Sind Sie der Ansicht, Ihr Verstand war durcheinander? Auf mich machen Sie jedenfalls keinen derartigen Eindruck.“
„Ich besitze darüber ein Attest“, sagte Madison mit verzerrtem Lächeln. Das war die erste Andeutung eines Mienenspiels, die sie in seinem Gesicht beobachten konnte; selbst während der Konfrontation mit Berry war es ausdruckslos geblieben. Das Lächeln verschwand nachgerade blitzartig wieder.
„Ja. Ja, freilich.“ Sie suchte nach Worten. „Nun, sehen Sie mal … Schauen Sie, es ist so. Ich möchte nicht allein sein. Ich fürchte mich. Ich habe keine Pistole mehr – der Block-Gottschalk hat sie mir weggenommen, der Kerl, den wir vorhin am Lift getroffen haben. Aber ich muß ja aus dem Haus und Lebensmittel einkaufen, und dergleichen … Also, hören Sie, können Sie nicht noch etwas bei mir bleiben und mir Gesellschaft leisten, wenigstens für ein paar Stunden? Nur so lange, wie unbedingt nötig? Bis ich mich wieder danach fühle, allein zu …“
Ihre Stimme verklang, die Arme baumelten schlaff an ihren Seiten, und sie senkte den Kopf. „Entschuldigen Sie“, fügte sie gedämpft hinzu. „Sie haben schon soviel für mich getan, daß ich kein Recht besitze, noch mehr von Ihnen zu verlangen.“
„Das mit dem Essen ist eine gute Idee“, sagte Madison. „Auch wenn Sie sich momentan nicht sonderlich wohl fühlen, ich glaube, das wird sich bessern. Mit einer Mahlzeit im Bauch, dazu ein paar
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