Das Gottschalk-Komplott
‚Verbotene Stadt* nannte; rein aufgrund der Notwendigkeit, einen gewissen Umsatz erzielen zu müssen, hatten chinesische Restaurantbesitzer sich allgemein dazu gehalten gesehen, mit den Gästen zufrieden zu sein, die überhaupt kamen, und pflegten deshalb normalerweise der Hautfarbe keine Beachtung zu schenken. Aber diesem Restaurant war das große Fenster eingeworfen worden, und an der Tür hing ein Schild, hastig in roter Tinte mit dem Hinweis EIN WERK DER X-PATRIOTEN!!! bekritzelt. Und ein Pfeil zeigte auf das zertrümmerte Glas.
„Dan und ich sind mal mit ein paar Niebs-Bekannten in diesem Lokal gewesen“, sagte Lyla mit erzwungener Wohlgelauntheit und geleitete Madison über die Straße. Aber sie gelangten nicht einmal bis vor die Tür. Dahinter stand nämlich ein hochgewachsener Asiate, der an Lyla vorbei Madison anblickte und in warnender Geste der Abweisung eine Hand hob, die Finger in Bereitschaft zu einem Karate-Hieb versteift.
„Würde sagen, heute abend versuchen wir’s lieber woanders“, meinte sie entmutigt, indem sie sich abwandte. Im Augenwinkel sah sie die Zähne des Asiaten schimmern, als er grinste.
Im nächsten Häuserblock gab es ein Soulbrother-Restaurant, aber es hatte ebenfalls ein Schild ausgehängt, säuberlich in Hellbraun auf Schwarz beschriftet, das diesmal Blanks den Zutritt verwehrte, dann fanden sie ein indisches Restaurant, dessen Inhaber der Öffentlichkeit stolz versicherten, sie seien selber arisch und wollten daher mit Fremdrassen nichts zu schaffen haben, danach kamen sie zu einem Lokal ausschließlich für Juden, danach entdeckten sie ein rein islamisches Restaurant, anschließend ein japanisches, das Weißen vorbehalten war und vor dem ein südafrikanischer Voortrekker geparkt stand, im Anschluß daran ein Joruba-Speiselokal, spezialisiert auf Erdnuß-Gerichte, und das wiederum …
„Das ist mir furchtbar peinlich“, sagte Lyla am Ende kummervoll, „aber es ist schon Monate her, daß ich zuletzt versucht habe, eine Lokalität ohne Rassentrennung ausfindig zu machen, und vermutlich hat das, was in der vergangenen Nacht geschehen ist, für viele davon in dieser Beziehung den endgültigen Schlußpunkt gesetzt. Vielleicht sollten wir doch verschiedene Wege gehen und getrennt essen.“
„Hat das Hotel“, fragte Madison, „das Sie mir empfohlen haben, ein Restaurant?“
Bekümmert musterte sie ihn durchs Fensterchen im Kopfteil ihres Schutzschleiers. „Wie die Dinge heute stehen, kann’s gut sein, daß man auch dort keine Niebs mehr aufnimmt. Wahrscheinlich müssen Sie sich in Hadern nach einer Unterkunft umschauen.“
Madison runzelte die Stirn, und für einen Moment waren seine Lippen so schmal, daß sie in seinem Gesicht verschwunden zu sein schienen. „Wodurch ist das verursacht worden, Miß Clay? Eine einzige nächtliche Unruhe kann unmöglich allein daran schuld sein.“
„Es wäre mir lieber, Sie nennen mich Lyla“, erinnerte sie ihn halsstarrig. „Ich schätze es, wenn Leute freundlich zu mir sind, nicht bloß höflich. Ich benötige irgendwen, der nett zu mir ist! O Gott, ich wollte, alles wäre so wie damals in den alten Zeiten, von denen meine Eltern immer erzählen, als es jedem egal war, wem er begegnete, mit wem er zusammenarbeitete, wer neben ihm saß. Jetzt wird rings um uns alles nur immer enger, als rückten rundum die Wände näher, wie in ‚Grube und Pendel!’“
Wild blickte sie in die Runde, als rechne sie in der Tat damit, die Gebäude heranrücken zu sehen, um sie gefangenzusetzen.
„Damals kam man nicht so einfach bei einem Krawall ums Leben“, preßte sie hervor. „O nein! Ach … ach, der arme Dan!“
Madison wartete. Kurz darauf hatte sie sich wieder in ihrer Gewalt.
„Nein, natürlich kommt’s nicht allein durch die eine Nacht. Es muß an etwas liegen, das die ganze Zeit auf so eine Gelegenheit gelauert hat, demjenigen freien, offenkundigen Lauf zu lassen, dessen die Menschen sich vorher schämten. Aber nun hat sich etwas als ihrer Scham überlegen herausgestellt. Was ist stärker als Scham?“
„Furcht“, sagte Madison.
„Vermutlich“, stimmte sie zu. „Aber wieso sollten die Leute sich derartig fürchten?“ Sie holte tief Luft. „Ich bin Pythoness, Harry. Ich muß mich in die Gedankenwelt anderer Menschen versetzen können. Niemals habe ich in irgend jemandes Verstand etwas gefunden – nicht einmal in der Ginsberg-Klinik, wo doch angeblich alle verrückt sind –, das nicht auch mindestens potentiell in
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