Das Grab der Königin
Ich denke nur an die Stimme, die mich anrief. Bestimmt war es die Person, die dich getroffen hat.«
»Du wolltest doch kommen.«
»Ich konnte ja nicht.«
»Und woher wußte die Toten-oder Grabwächterin, daß sie bei dir an der richtigen Adresse war?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber die Rose war wichtig«, erklärte Jenna und setzte sich so hin, daß der Wind, der durch das zerstörte Fenster fuhr, sie nicht voll erwischen konnte.
»Behalte, was du sagen willst«, riet ich ihr und rief jetzt den Notdienst an. Ich gab Jennas Adresse durch. Man versprach mir, in den nächsten beiden Stunden zu erscheinen.
Sie hatte sich inzwischen ihren Mantel geholt. Den der Morgana Layton wollte sie nicht überstreifen. Sie ließ ihn auf dem Boden liegen, zudem verachtete sie Pelze.
Ich zündete mir eine Zigarette an und nahm noch einen Schluck. »Hast du deine Worte behalten?«
»Ja.«
»Es ging um die Rosen, nicht wahr?«
»So ist es.«
»Welche Bedeutung haben sie?«
Jenna richtete ihren Blick erstaunt auf mich. Hinter den Gläsern der Brille wirkten ihre Augen noch größer. »Weißt du das denn nicht, John?«
»Nein.«
»Du kennst nicht ihre Rätsel, die sie König Salomo aufgab?«
»Nicht alle, nur…«
»Ich meine, du bist der weise König gewesen, mehrmals wiedergeboren und lebst nun als John Sinclair.«
»Langsam, das ist nicht bewiesen. Ich warte noch immer auf die Lösung des Rosen-Rätsels.«
Jenna nickte. »Es ist eigentlich ganz einfach. Als die Königin von Saba den weisen König Salomo und den Vater Davids besuchte, da brachte sie nicht nur kostbare Geschenke aus ihrem Land mit, sondern auch komplizierte Rätsel, denn sie hatte von der Weisheit des Königs selbst im fernen Arabien gehört. Die Königin kam zu ihm und hielt in ihrer Hand zwei Rosen. Eine war echt, die andere künstlich. Beide glichen sich aufs Haar, und keine Rose duftete, so daß eines Menschen Nase diesen Duft hätte wahrnehmen können. Salomo sollte nun sagen, welche Rose echt und welche künstlich war.«
Sie legte eine Pause ein und schaute mich auffordernd an.
»Soll ich das Rätsel lösen? Ich bin nicht Salomo.«
»Versuche es, John.«
»Das ist schwer, weißt du? Außerdem bin ich nicht in Form. Ich habe heute abend bereits zu viele Überraschungen erlebt. Sorry, aber im Moment komme ich nicht darauf.«
Jenna Jensen lächelte spöttisch. »Es wäre ja auch ein Ding, wenn du die Weisheit Salomos gepachtet hättest.«
»Danke, ich habe verstanden. Nun aber zur Sache, Jenna. Wie hat der gute Salomo das Rätsel denn gelöst?«
»Es ist ganz einfach, wenn man es weiß, John. Er ließ einen Imker kommen. Der brachte Bienen mit. Als sie aus ihrem Korb in die Freiheit gelangten, setzten sich die Bienen auf die echte Rose. Die künstliche aber verschmähten sie.«
Ich schaute Jenna Jensen so starr an, daß sie lachen mußte.
»Was habe ich dir getan?«
»Das ist verblüffend einfach.«
»Stimmt. Alle Rätsel der Königin sind im Prinzip einfach. Man muß nur etwas nachdenken, Phantasie mit hineinbringen, und man kommt automatisch auf die Lösung.«
Ich nickte gedankenverloren und sagte: »Das also ist die Verbindung zu den Rosen.«
»Nicht ganz, John, denn die Rose bedeutet auch Leben, Blühen. Solange sie noch blüht, ist die Königin nicht verloren.«
Ich hob die Hand. »Moment mal. Meinst du, daß sie noch lebt, solange die Rosen blühen?«
»Ja.«
»Und eine davon zerfiel vor meinen Augen zu Asche. Sie wurde gebracht von einer Frau, deren Alter ich nicht schätzen konnte, die aber in meiner Sprache redete.«
»Ein Zeichen.«
»Für uns?«
Jenna hob die Schultern. »Auch, John. Gleichzeitig ein Beweis dessen, daß wir endlich darangehen müssen, die Königin und deren Grab zu finden. Wir können uns nicht länger auf dem Kopf herumtanzen lassen. Es muß einfach etwas geschehen.«
Der Ansicht war ich auch. Ich schaute in mein leeres Glas hinein. »Dazu müßte es uns gelingen, das Grab zu finden.«
»Eben.«
»Nicht hier in London. Das nächste Reiseziel heißt also Arabien.«
»Ich würde sagen, der nördliche Jemen.«
»Und da komme ich so ohne weiteres hinein?«
»Keine Ahnung. Ich habe es geschafft. Vielleicht sollten wir nicht offiziell einreisen.«
»Kennst du Schleichwege?«
»Ja.«
»Es gibt dort einsame Küstenstreifen, die nicht so bewacht sind, wie sie es eigentlich sein sollten. Wir könnten uns dort an Land setzen lassen. Oder einen Führer kapern.«
Ich hatte die Stirn in Falten gelegt.
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