Das Grab der Legionen
Boden.
Litennon lächelte. „Noch ist nichts verloren."
Den guten Augen des Schützen entging der Zweitbeste nicht, der sich betrübt entfernte. Er teilte die Wogen der Jubelnden und holte seinen Konkurrenten alsbald ein.
„Sie reichen sich die Hände, das ist gut. Hoffentlich hält das Einvernehmen vor. Viel hätte nicht an Zwietracht und Neid gefehlt", murmelte Litennon. Während er sich wieder zu seinen Verwandten drängte, verdüsterte sich seine Miene. Wo blieb Eladu? Längst hatte er sich in Numantia einfinden wollen.
Sira saß nicht mehr da, wo er sie verlassen hatte. Litennon blickte suchend umher... An der Pforte zur Burg umhalste sie einen staubüberkrusteten Mann. Also doch noch rechtzeitig!
„Bist du verwundet? Krank siehst du aus, mein Junge!" sagte Litennon, als sie im Zimmer saßen. Schmollend hatte sich Sira zurückgezogen. Was sie von den Gesprächen von Mann zu Mann hielt, war ihm recht gut bekannt.
„Erschöpft, Schwiegervater, nichts weiter. Ich ritt in größter Eile. Mein Pferd wird langer Ruhe bedürfen, und mir geht es kaum besser. Aber das Tier kann sich leichter erholen als ich."
„Sprich doch! Was ist geschehen? Du machst mir angst!"
„Das trifft sich gut. Ich habe nämlich Angst", versetzte der Schmächtige und rieb die entzündeten Augen. „Etwas Schlimmes braut sich zusammen. Hoffentlich kann ich die Eiterbeule sogleich ausstechen. Sonst könnte noch Ärgeres geschehen."
Ein Rascheln vor dem Vorhang verriet, daß jemand kam. Unwillkürlich tastete Litennon nach seinem Dolch, so hatte ihn die Andeutung beunruhigt.
Der Erste Priester des Heiligtums betrat den Raum, in ein besticktes Gewand gehüllt, wie ihm das zukam, und den Stirnreif mit den bunten Steinen auf dem Haupt. Er grüßte knapp, fast herablassend, und seine Augen glitten kalt über Eladu hinweg, ignorierten ihn offensichtlich.
„Weshalb batest du mich hierher, Litennon? Bedarfst du eines Orakels? Selten genug hörte ich diese Bitte von dir."
„Ich? Eigentlich..." Der Mann verstand und wußte, wer in seinem Namen gehandelt hatte. Er warf dem Schwiegersohn einen wütenden Blick zu.
„Dein Bote sagte nichts von Eladus Anwesenheit", fuhr Sagil fort und sah den Schmächtigen mit offener Feindseligkeit an. „Sonst wäre ich schwerlich hier. - Du besuchst auffallend selten das Heiligtum", wandte er sich dann doch an den Jüngeren. „Warum mißachtest du die Gottheit? Willst du dich von ihr abwenden? Sie würde dich verdammen, und wer bist du gegen sie?"
„Ich reise viel durchs Land, Diener Netos", antwortete Eladu scheinbar demütig. „Unmöglich ist's, gleichzeitig im Tempel zu opfern. Jetzt bin ich jedoch imstande, diesem ehrwürdigen Ort einen Besuch abzustatten. - Möchtest du wissen, wo ich weilte?"
Sagil kniff die Lider zusammen. „Stimmt es, daß du neuerdings des Öfteren die Römer besuchst? Im Rauschen der Eiche klang neulich die Warnung, wir sollten uns vor Verrat hüten, der sich im Gewand der Heimatliebe verbirgt. Solche Reisen in Feindesland..."
„Du hast kein Recht, meinen Schwiegersohn des Verrats zu verdächtigen. Er ist uns treuergeben."
„Kein Recht? Ich soll kein Recht dazu haben? Wer darf denn fragen, wenn nicht Iberiens Götter, ganz besonders Netos, der ewige Schirm der Arevaken? In seinem Namen fordere ich Rechenschaft über dein Wühlen und Hetzen, über deine höchst merkwürdigen Ritte ins römische Gebiet. Wer sind deine seltsamen Helfer? Höre zu, vor der Versammlung der Ältesten klage ich dich an! Man wird feststellen, ob deine Gastgeber in Tarraco nicht römische Spione sind. Die Gottheit verlangt die Wahrheit zu erfahren!"
Zunächst erwiderte Eladu nichts. Ein vieldeutiges Lächeln spielte um seinen Mund, aber er schwieg. Schon wollte sein Schwiegervater eingreifen - er wußte, wie müde Eladu war —, da hielt eine Geste ihn auf.
„Du hast völlig recht", gab der Schmächtige zu. „Wie dürfte ich dir wichtige Tatsachen vorenthalten! Ich werde mein Wissen ausbreiten, damit es jeder sieht."
Vergeblich mühte sich Sagil, seinen Triumph zu verbergen. Dagegen schaute Litennon verständnislos drein. Er begriff den Freund nicht mehr. Eine derartige Nachgiebigkeit war unvereinbar mit allem, was er an ihm kannte. Eine erste Ahnung breitete sich aus: Dies Gespräch könne wohl ein Teil des Aufstechens der Eiterbeule sein. Bei Netos, das würde bedeuten...
„Ich komme geradewegs aus Lutia, also keinesfalls aus der römischen Provinz. Dort habe ich einige Freunde, die
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