Das Grab ist erst der Anfang: 12. Fall mit Tempe Brennan
sofortige Aufmerksamkeit erforderte. Ich legte meine handgeschriebene Liste beiseite, ging ins Labor und schlug die Gouvrard-Akte auf.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis ich einen Eintrag fand, der meine Hoffnung in die Höhe schießen ließ.
Tetracyclin ist ein starkes Antibiotikum, das ein breites Spektrum von Bakterien abtötet. Leider verkalkt das Medikament, wenn es während der Zahnbildung eingenommen wird, im Zahnschmelz. Das Resultat ist eine dauerhafte graue oder braune Verfärbung der Kronen oder eine horizontale Streifenbildung unterschiedlicher Intensität.
In den 1950ern wurde Tetracyclin so oft verschrieben, dass diese Verfärbung weit verbreitet war. Noch bis 1980 wurde dieses Medikament Kindern und Schwangeren verabreicht.
Schlechte Nachrichten fürs Lächeln. Gute Nachrichten für eine forensische Identifikation.
Nach seinen Unterlagen hatte Valentin Gouvrard sich im Alter von sieben Monaten eine Streptokokkeninfektion zugezogen. Das Baby bekam drei Wochen lang Tetracyclin.
Ich rannte zu meinem Bücherregal, zog ein Handbuch heraus und schlug eine Tabelle auf.
Bei kindlichen zweiten Backenzähnen beginnt die Verkalkung zwischen der sechzehnten und vierundzwanzigsten Woche im Mutterleib im Oberkiefer und zwischen der siebzehnten und zwanzigsten Woche im Unterkiefer. Die Kronenbildung ist nach etwa elf Monaten im Oberkiefer und etwa zehn Monaten im Unterkiefer abgeschlossen.
Eine schnelle deduktive Argumentation.
Beobachtung: Valentin Gouvrard nahm Tetracyclin, als sich seine kindlichen zweiten Backenzähne ausbildeten.
Beobachtung: Die Erwachsenen-Backenzähne ersetzen die Milchzähne im Alter von elf oder zwölf Jahren. Das Kind auf meinem Tisch starb im Alter von sechs bis acht und hatte deshalb noch seine Milchbackenzähne.
Schlussfolgerung: Wenn das Kind auf meinem Tisch Valentin war, dann mussten diese Backenzähne verfärbt sein.
Ich schaute in meine Aufzeichnungen. Ein erwachsener erster und zwei kindliche zweite Backenzähne waren sichergestellt worden. Obwohl ich mir die Babyzähne nur flüchtig angeschaut hatte, einmal, als ich das Inventar erstellte, und ein zweites Mal, als ich sie für die Röntgenaufnahmen zurechtlegte, war mir nichts aufgefallen außer einer möglichen verfärbten Stelle im Schmelz des kindlichen zweiten Backenzahns aus dem Oberkiefer.
Ich wollte mir eben die Überreste ansehen, als das Telefon klingelte.
»Dr. Brennan.«
»Monsieur Hubert.«
»Ich habe gehört, es ging Ihnen nicht gut.«
»Jetzt geht es mir wieder bestens.«
»Gut. Kommen Sie bitte in mein Büro.«
»Ich habe eben etwas gefunden, das für die Aufklärung des Lac-Saint-Jean-Falls sehr wichtig sein kann. Vielleicht -«
»Bitte kommen Sie runter.« Scharf. »Sofort.«
»Stimmt etwas nicht?«
»Ja.« Die Stimme des Coroners hätte Papier schneiden können. »Mein ganzes verdammtes Personal ist unfähig.«
33
Hubert saß in seinem Sessel und sah aus wie Jahrzehnte des Backwarenmissbrauchs.
»Setzen Sie sich, Dr. Brennan.«
Ich setzte mich und erwartete einen Tadel, hatte aber keine Ahnung, weswegen.
»Darf ich Sie etwas fragen?« Aus der Miene des Coroners sprach verwunderte Enttäuschung. »Arbeiten Sie gern hier?«
»Was?«
»Eine einfach Frage.«
»Natürlich tue ich das.«
»Haben Sie gerade irgendeine persönliche Krise zu bewältigen?«
»Nein.« Was sollte denn das?
»Fühlen Sie sich ausgebrannt?« Also wirklich, was sollte denn das?
»Diese Fehde, in die Sie verwickelt sind. Könnte es -«
»Ich bin in keine Fehde verwickelt.« Abwehrend.
»Diese Situation in Chicago -« Hubert drehte eine Hand. Sie war so fett, dass sie an den Knöcheln keine Falten zeigte.
»Ich kann ja kaum eine Fehde mit einem namenlosen Verleumder haben.«
»Irgendetwas behindert Ihre Arbeit.«
»B1ödsinn.« Nicht sehr schlau, aber es sprang mir einfach von den Lippen.
»Muss ich es Ihnen darlegen?«
»Wenn Sie so freundlich wären.« Die fröhliche Vitalität beim Aufstehen war verschwunden, Verärgerung war an ihre Stelle getreten. »Quentin Jacquème hat seit der Entdeckung der Skelette am Lac Saint-Jean wiederholt in meinem Büro angerufen. Jacquème ist ein pensionierter SQ-Beamter. Seine verstorbene Frau war Achille Gouvrards Schwester. Drei Wochen lang Anrufe, Dr. Brennan. Und nichts, was ich dem Mann sagen kann.«
Ich konzentrierte mich aufs Atmen, versuchte, ruhig zu bleiben.
»Am Freitag hat Dr. Briel um die Erlaubnis gebeten, die Überreste untersuchen zu dürfen. Da Sie
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