Das Grab ist erst der Anfang: 12. Fall mit Tempe Brennan
Einfädeln hatte.
Mit der Bemerkung, dass es noch zusätzliche Mikrofilme gebe, die bis 1897 zurückreichten, ließ sie mich allein.
Ich las die Etiketten. Die Filme reichten von 1948 bis 1964, dem Jahr, als der Progrès de Saguenay eingestellt wurde.
Ich beschloss, mit den jüngsten Ausgaben der Zeitung anzufangen, und fädelte die erste Spule ein. Der Film kratzte leise, als ich mich rückwärts durch die Zeit kurbelte: 1964, 1963, 1962.
Die Schwarzweißfotos wurden kurz scharf und verschwammen wieder. Zuerst ging ich es langsam an. Je geschickter ich wurde, umso schneller überblätterte ich das Irrelevante und konzentrierte mich nur noch auf Nachrichten und Todesanzeigen.
Nach einer Stunde spürte ich ein Zucken in einem Auge.
Nach zwei Stunden hämmerte in meinem Kopf eine Kesselpauke.
Ich schaute mir das Körbchen an. Noch eine Million kleiner Kästchen.
War meine Idee verrückt?
Vielleicht. Aber ich musste nachsehen. Musste mir selber versichern, dass ich wirklich alles getan hatte.
Ich fädelte einen neuen Film ein und kurbelte mich durch das erste Halbjahr 1958.
Nach gut der Hälfte fand ich, was ich suchte.
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Recherche pour les Victimes Noyées Suspendue – Suche nach Ertrinkensopfern ausgesetzt.
Wie schon bei Briels Bericht übersetzte ich, während ich las.
21. Juli 1958. Nach einer Woche intensiver Bemühungen endete nun die Suche nach vier vermissten und vermutlich toten Opfern einer Bootskatastrophe auf dem Lac Saint-Jean. Zu Ehren von drei der Toten, Louise-Rosette, Melanie und Claire Clemenceau, wird am Donnerstag um dreizehn Uhr auf dem Friedhof von Sainte-Marie im Rahmen einer kurzen Zeremonie ein Gedenkstein errichtet. Die Öffentlichkeit ist eingeladen.
Ein Bootsunfall. Fehlende Leichen. Lac Saint-Jean.
Mein Körper kribbelte vor Erregung.
Da sich in meinem Stirnlappen inzwischen eine ganze Marschkapelle eingenistet hatte, hatte ich mir angewöhnt, schnell vorwärts zu spulen und nur stichprobenweise zu lesen. Offensichtlich war diese Herangehensweise untauglich. Ich hatte den ursprünglichen Unfallbericht übersehen.
Wie die Fingerglieder. Und die Tetracyclin-Verfärbung. Ich rieb mir die Augen. Bewegte die Schultern. Ertrinken. Das würde Frühling oder Sommer bedeuten. Ich spulte zurück bis April und fing neu an.
14.Juli. Der Unfall wurde mit allen herzzerreißenden Details beschrieben.
Tragedie de Pique-nique – Picknick- Tragödie. Das war die Überschrift eines Artikels, der fast die ganze untere Hälfte der vierten Seite einnahm. Am 13.Juli 1958 hatte eine Kirchengemeinde aus der Kleinstadt Sainte-Monique im Parc de la Pointe-Taillon ihr alljährliches Picknick abgehalten. Wie üblich hatte zu den Aktivitäten auch eine Kahnfahrt auf dem Lac Saint-Jean gehört. Am Nachmittag war ein Sturm mit solchem Tempo und solcher Gewalt hereingebrochen, dass die Bootsfahrer keine Chance zu reagieren hatten. Der Kahn war weit vom Ufer entfernt gekentert. Zwei Männer hatten überlebt. Vier Erwachsene und fünf Kinder nicht. Ein Mann, eine Frau und zwei kleine Mädchen blieben vermisst. Mit pochendem Herzen sah ich mir die Namen und die Altersangaben an. Richard Blackwater, 37
Louise-Rosette Clemenceau, 45
Melanie Clemenceau, 13
Claire Clemenceau, 7
Ich notierte mir Namen und Alter der Vermissten und das Datum und den Ort des Unfalls. Dann arbeitete ich mich, ohne auf meinen pochenden Schädel zu achten, durch den Rest des Jahres 1958 und las jedes Wort, egal, wie klein es gedruckt war.
Am Dienstag nach dem Unfall waren die ersten drei Opfer begraben worden, ebenfalls auf dem Friedhof von SainteMonique.
Ein weiterer Artikel erschien am 16. Juli. Er war kurz und meldete nur, dass die letzten zwei Ertrunkenen ebenfalls ihre letzte Ruhe gefunden hatten.
Ich machte weiter.
Nachdem die Suche am 21. Juli eingestellt worden war, gab es keine Erwähnung der Tragödie mehr. Oder der vermissten Opfer.
Ich lehnte mich zurück und starrte meine Notizen an.
Es passte alles. Das postmortale Intervall. Die Wangenknochen und die Schneidezähne des männlichen Erwachsenen. Ich hätte meinen Kopf darauf verwettet, dass Blackwater ein Indianischer Name war.
Plötzlich plärrte »Sugar, Sugar« aus meiner Handtasche. Nach einer Ewigkeit des Wühlens fand ich mein Handy und schaltete es ab.
Als ich den Kopf hob, stürmte die nicht so nette Dame mit mordlustiger Miene auf mich zu. »Entschuldigung« murmelnd packte ich meine Sachen zusammen. Den Drachen beeindruckte das nicht, die Frau
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