Das Grab ist erst der Anfang: 12. Fall mit Tempe Brennan
abwesend waren, habe ich es ihr gestattet.«
»Gut gemacht.« Ich hielt den Blick starr auf Hubert gerichtet. »Jetzt haben Sie Neuigkeiten für Jacquème. Eine Nichtexpertin wurde hinzugezogen.«
»Au contraire. Ich werde ihm sagen, dass ich bereit bin, den Fall abzuschließen.«
Mit einem Wurstfinger schob Hubert ein Blatt Papier in meine Richtung.
Der Bericht war kurz – Alter, Geschlecht. Zur Beschreibung des jüngeren Kindes gehörte auch eine Diskussion der Tetracyclin-Verfärbung der Milchbackenzähne.
Als ich den letzten Absatz las, übersetzte ich ihn im Kopf ins Englische. Nur um ganz sicher zu sein.
Die Tetracyclin- Verfärbung der kindlichen zweiten rechten Oberkiefer- und Unterkiefer-Backenzähne ist hinreichend eindeutig, vor allem in Kombination mit der Skelett- und Zahnentwicklung, um eine positive Identifikation des jüngeren Individuums als Valentin Gouvrard, Alter acht Jahre, zu gestatten.
Bei gegebener Konsistenz im demografischen Profil, darunter das Geschlecht und das jeweilige Alter der Erwachsenen zum Todeszeitpunkt, des Knochenzustands und der perimortalen Traumata, ist es meine Ansicht, dass die am 12. Januar dieses Jahres in der Gegend des Lac Saint-Jean gefundenen Knochen die der Familie Gouvrard sind, die am 14.August 1967 verschwand und seitdem für tot gehalten wurde.
Marie-Andréa Briel
Stumm vor Verblüffung schaute ich auf.
»Wie konnte Ihnen etwas so Wichtiges entgehen, Dr. Brennan?«
Ich traute mir selber nicht und sagte lieber nichts.
»Die Verfärbung ist offensichtlich. Briel hat sie gesehen. Als sie sie mir zeigte, sah ich sie ebenfalls. Tetracyclin wird in den Krankenunterlagen des Kindes erwähnt.«
Ich sagte noch immer nichts.
»Zuerst die Oka-Fingerglieder. Jetzt das.« Hubert strich sich mit der Hand über die Wange. »Eh, misère. Ich glaube, Sie brauchen eine Pause.«
»Suspendieren Sie mich?«
»Ich verwarne Sie.« Der Leviathansbauch hob und senkte sich, als der Coroner schwer seufzte. »Keine solchen Fehler mehr.«
»Sind wir fertig?«
Hubert sah aus, als wollte er noch etwas anderes sagen. Er tat es nicht.
Ich stand auf und ging zur Tür. Wut strahlte von mir ab wie Hitze von einem Teekessel.
Unten ging ich direkt zu dem jüngeren Kind. Ich schraubte den Deckel von dem Plastikröhrchen und ließ die drei kleinen Zähne auf die Tischplatte kullern.
Und starrte sie erstaunt an.
Beide Baby-Backenzähne hatten dunkelbraune Ränder um ihre Kronen.
Hubert hatte recht. Der Defekt sprang einem förmlich ins Auge, auch bei einem flüchtigen Blick.
Der obere zweite Backenzahn hatte außerdem einen stecknadelgroßen stumpfen Punkt am inneren Höcker. Eine Füllung? Hatte ich die bemerkt?
Ich schaute in meine Unterlagen.
Eine Füllung hatte ich nirgends erwähnt. Ich notierte mir, die Zahn-Röntgenaufnahmen zu kontrollieren.
Jetzt stieg die Hitze in meine Brust.
Wie hatte ich die Verfärbung übersehen können? Eine potentielle Füllung?
Hatte der Coroner recht? War ich abgelenkt? Wurde ich nachlässig?
Abgelenkt wovon? Ryan? Von meiner Ungeduld, mit Katy in den Urlaub zu flüchten? Von meiner Besessenheit bei der Suche nach Edward Allens Informanten? Von meinem Bemühen, die Geschichte mit Rose Jurmain in meinem Kopf zu einem Abschluss zu bringen?
Meine Wangen brannten wieder, doch jetzt vor Scham.
Ich starrte noch immer die Zähne an, als mein Handy klingelte. Ich ignorierte es kurz, doch dann ging ich dran.
»Tanzet, Leute. Singet.« Ryan. »Juhuu. Wir haben unseren Mann.«
»Adamski.«
»Nein. Harry Houdini.«
»Das ist großartig, Ryan.« Tonlos.
»Auch beim Jubeln ist Maßhalten angesagt.«
»Ich bin begeistert.«
»Ist dir schon wieder schlecht?«
»Ich hatte nur mal wieder Streit mit Hubert.« Ich ließ einen Backenzahn über meine Handfläche kullern. »Wo habt ihr Adamski geschnappt? Oder Lucky Labatt oder Keith oder wie der Drecksack sich gerade nennt.«
»Das Genie schaute sich gerade Wiederholungen von Rockford in der Wohnung eines Cousins in Moncton an. Der Kerl heißt Denton Caffrey. Adamskis Heimatstadt, Adamskis echter Familienname. Mann, wer hätte dran gedacht, Caffreys Wohnung zu kontrollieren? Der König der Biere ist dümmer als eine Schüssel Nudeln.«
»Wo ist er jetzt?«
»Claudel ist heute Morgen nach Moncton geflogen. Wir knöpfen uns Adamski vor, sobald er in Montreal ist.«
»Glaubst du, du kannst ihn knacken?«
»Ich muss.« Ryans Vehemenz war sogar durchs Telefon spürbar. »Adamski hat Dreck am
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