Das Grab - Roman
mich nicht ständig damit belästigen würden. Ich habe schon an Orten gejoggt, die um einiges gefährlicher waren als Ellsworth und habe überlebt, um davon zu erzählen. Nichts, was Sie sagen, wird meine Meinung ändern können. Warum lassen Sie’s also nicht einfach? Okay? Ich bin so früh am Morgen nicht in Stimmung für Gardinenpredigten.«
Dexter wölbte die buschigen Augenbrauen. Ein Winkel seines Munds verzog sich nach oben, doch er sah nicht belustigt aus. »Ganz schön kratzbürstig.«
»Ich mag es nicht, jedes Mal belästigt zu werden, wenn ich aus dem Haus gehen will.«
»Belästigt? Ich gebe Ihnen nur einen gut gemeinten Rat. Wenn Sie belästigt werden wollen, warten Sie ab, bis sich irgendein Irrer im Dunkeln auf sie stürzt, während Sie sich da draußen Ihren kleinen Hintern ablaufen, und seinen Schwengel in Sie reinsteckt.«
Vicki spürte, wie sie puterrot wurde. Sie fühlte ihr Herz hämmern. »Das möchten Sie wohl selber gerne machen, hab ich Recht?«
Dexters Gesicht verdunkelte sich. »Reden Sie nicht in so einem unverschämten Ton mit mir.«
»Ich rede mit Ihnen, wie es mir passt.«
Er grinste böse, wobei er seine obere Zahnreihe entblößte. »Sie haben anscheinend bei Ihrer Freundin, dieser Arsch , Nachhilfestunden in Biestigkeit genommen, wie?«
Sie stemmte die Hände in die Hüften und starrte ihn wütend an. »Ich ziehe aus. Sie können Ihre beschissene Wohnung an jemand anderen vermieten.«
»He, Sie können nicht so einfach …«
»Warten Sie’s ab.« Sie wirbelte auf dem Absatz herum und marschierte auf die Eingangshalle zu.
»Miststück!«
Sie stürmte durch die Tür und die Stufen hinab.
Nachdem sie am Ende des Blocks ihre Dehnübungen gemacht hatte, begann sie zu laufen. Das Joggen besänftigte ihren Zorn. Sie fand, dass der Streit mit Dexter eine gute Sache gewesen war. Andernfalls wäre sie womöglich in der Wohnung geblieben und hätte versucht, mit ihm auszukommen. Der Umzug würde eine stressige Plackerei werden, aber bei weitem nicht so schlimm, wie jeden Tag diesem Kotzbrocken über den Weg zu laufen. Sie würde von der Praxis aus ein paar Anrufe machen. Mit etwas Glück würde sie noch heute eine neue Wohnung finden. Und in ein paar Tagen ausziehen. Dexter Pollock ein für alle Mal abhaken.
Als sie die Central Street erreichte, bog sie nach Norden und lief durch den Park. Auf dem Abhang zum Strand hinunter warf sie einen Blick auf den Spielplatz. Jemand saß auf einer der Schaukeln.
Der Typ von gestern?
Es war nur eine undeutliche Gestalt im Dunkeln, doch sie schien ungefähr die Größe des Mannes zu haben, der sie gestern von der Rutsche aus beobachtet hatte.
Was tut er da? Wartet er auf mich?
Zuerst Pollock, jetzt dieser Typ.
Sorry, Sie enttäuschen zu müssen, Mister.
Darauf achtend, dass sie nicht wieder auf dem taunassen Gras ausrutschte, lief sie langsamer, bis sie den Fuß des Abhangs erreichte. Dort bog sie nach links ab und rannte auf den Gehweg zu.
Du solltest dich geschmeichelt fühlen, dass er heute Morgen wieder hier ist, dachte sie. Wirklich? Wer sagt denn, dass ich der Grund bin? Er war gestern im Park, ohne zu wissen, dass ich auftauchen würde. Vielleicht sitzt er nur gern dort und sieht zu, wie die Sonne aufgeht.
Aber er hätte etwas gesagt, wenn ich einfach an ihm vorbeigelaufen wäre.
Wäre das denn so schlimm?
Er schien gar kein übler Kerl zu sein. Er war vielleicht sogar sehr nett.
Das wirst du nie erfahren, wenn du ihm keine Chance gibst.
Nicht heute. Nicht nach der Begegnung mit Dexter.
Obwohl sie sich deshalb leicht schuldig fühlte, lief sie nicht zu dem Fremden zurück. Sie erreichte den Bürgersteig entlang der Central und joggte weiter Richtung Norden.
Sie fragte sich, ob er ihre unverkennbare Absicht, eine Begegnung mit ihm zu vermeiden, bemerkt hatte. Sie hoffte nicht. Er dachte vielleicht, dass sie Angst vor ihm hatte oder schlicht hochnäsig war.
So ist es nicht, dachte sie, und formulierte in Gedanken eine Entschuldigung. Es hat nichts mit dir zu tun. Du scheinst ein netter Kerl zu sein. Ich hab nur miese Laune, das ist alles.
Wenn er morgen wieder da ist …
Aber das waren ungelegte Eier.
Der Himmel wurde langsam hell, als Vicki über die Kreuzung am Nordrand der Stadt lief, an der die Central Street in die River Road überging. Mit der Central endete auch der Bürgersteig. Normalerweise kehrte sie hier um und lief zurück. Heute nicht. Sie hatte keine Eile, nach Hause zu kommen und möglicherweise wieder
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