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Das graue distinguierte Leichentuch: Roman

Titel: Das graue distinguierte Leichentuch: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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Sie etwas trinken?«
    »Ich glaube nicht, danke. Sie haben es sehr schön hier, Mrs. Tait.«
    Ihre Miene erhellte sich. »Danke. Besichtigungen für fünfzig Cents.«
    »Nicht gleich. Ich möchte lieber vorher mit Gordon sprechen.«
    »Natürlich. Sein Zimmer liegt hier zu ebener Erde. Wir dachten, das ist besser als oben. Sie wissen, die Treppe.«
    »Ja, ja«, sagte Dave.
    Er folgte ihr über den Moosgrund dicker Teppiche, die sich endlos durch das große Wohnzimmer erstreckten. Die Einrichtung hatte einen gewissen Ausstellungscharakter, als befinde man sich im mit Seilen abgegrenzten Modellraum eines Warenhauses. In den Aschenschalen lag keine Asche, die Sitzpolster der Sessel wiesen kein Fältchen auf, der Teppich selbst war so gleichmäßig glatt, daß Fußstapfen zurückblieben.
    Grace öffnete die Schiebetür eines verhältnismäßig kleinen Zimmers im Ostflügel des Hauses, das nicht viel größer war als eine Mädchenkammer. Hier zeigte sich nun eine andere Art von Eleganz: Es war eher ein Krankenzimmer als ein Schlafzimmer, mehr von Medical Journal als von House and Garden inspiriert. Mitten im Raum lag Gordon Tait auf einem überdimensionierten Bett, sorgsam in Decken gehüllt.
    »Ich lasse euch beide allein«, sagte Grace in süßen Tönen. »Wenn ihr etwas braucht, ruft mich bitte.« Sie schob die Tür wieder zu. »Hejho, Athos!« sagte Gordon.
    »Hallo«, Dave Robbins grinste und schob einen Stuhl ans Bett heran. Ein einziger Blick genügte, und er wußte, daß Graces Bulletin nicht übertrieben gewesen war. Gordon sah schwächer aus als in den ersten Tagen nach dem Anfall. Die Gesichtshaut war straff und farblos, den Augen fehlte jeder Glanz, und er befeuchtete unaufhörlich mit der Zunge die papiertrockenen Lippen.
    »Verzeihen Sie, daß ich Sie belästige«, sagte Dave. »Eigentlich haben wir keine schwierigen Probleme –«
    »Schon gut, Davy. Ich möchte gern wissen, was vorgeht. Meine Frau ist eine richtige Kerkermeisterin. Ich bekomme nicht einmal mehr die Zeitungen zu Gesicht. Könnten Sie mir nicht wenigstens eine Nummer unserer Fachzeitschrift einschmuggeln?«
    »Das hat doch Zeit. Es steht ohnehin immer nur dasselbe drin.«
    »Also, was tut sich in der Firma? Haben Sie schon den lieben Cubby kennengelernt?«
    »Ich habe ihn kennengelernt.«
    Gordon lachte in sich hinein. »Sie brauchen mir nichts zu erzählen. Ich sehe die Narben. Ein reizender Knabe! Ein biederer Sohn der Scholle mit einer Dreißig-Meter-Jacht und einer Vorliebe für langbeinige Revuegirls –«
    Diese Anspielung machte Dave stutzig. »Revuegirls?«
    »Wundern Sie sich? Lieber Mann, was könnte ich Ihnen für Geschichten über Kermit Burke erzählen!«
    »Einen Augenblick! Kannte er eine junge Dame namens An- nie?«
    Dave hätte es nicht für möglich gehalten, daß Gordon Taits kreidebleiches Gesicht noch weißer werden könnte. Aber als er seine Frage stellte, wich der letzte Rest Farbe aus seinen Wangen. Man hatte den Eindruck, den blutleeren Teint eines lebenden Leichnams vor sich zu sehen.
    »Gordon – sind Sie all right?«
    Der Mann antwortete nicht, und Dave wurde unruhig. Er wollte aufstehen, um Grace zu rufen, aber eine knochige Hand kam unter der Bettdecke zum Vorschein und hielt ihn zurück.
    »Nein. Bleiben Sie sitzen.«
    »Ich will lieber Ihre Frau rufen.«
    »Nein, Dave. Ich bin all right.«
    »Ich wollte Sie nicht aufregen, Gordon. Die Sache ist einfach die – na ja, ich bin da in eine merkwürdige Situation geraten.«
    »Wen meinten Sie vorhin? Was für eine Annie?«
    »Eine gewisse Annie Gander. Eigentlich weiß ich nichts Näheres über sie. Ich weiß nur, daß sie –«
    Dave verstummte. Wenn schon die bloße Erwähnung ihres Namens eine solche Wirkung auf den Kranken ausüben konnte – was würde passieren, wenn er den Mord erwähnte?
    Er wechselte den Ton. »Es ist reine Neugier«, sagte er trocken. »Ich habe sie neulich im Büro gesehen. Sie schien sich über irgend etwas aufzuregen. Sie wollte Mr. Hagerty sprechen und machte Celia einen ordentlichen Krach. Mehr weiß ich nicht.«
    »Sie lügen.« Gordon sah ihn starr an. Dave versuchte einen unschuldigen Eindruck zu machen, aber es gelang ihm nicht.
    »Nein, nein. Ich habe sie im Büro gesehen. Die Sache ist bloß die –«
    »Ja?«
    »Ich habe mir gestattet, Ihre Burke-Aktien durchzugehen. Auch die persönlichen Papiere.«
    Gordons Blick war zur Decke gewandert. »Was haben Sie entdeckt?«
    »Nichts Wichtiges. Ich wollte mich nur mit den

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