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Das graue distinguierte Leichentuch: Roman

Titel: Das graue distinguierte Leichentuch: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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sah ihn mitleidvoll an. »Sie sind viel zu schnell mit so einem Wort bei der Hand, Dave. Was die übrigen sechs betrifft, so gehören Irma und Howard Clarke, Homer Hagerty, ich selbst und nun auch Sie dazu. Und natürlich die richtige Mutter des Burke-Babys.«
    »Kermit Burke weiß nichts davon?«
    »Nicht das geringste.«
    »Und die Mutter des Kindes.?«
    Gordon Tait ließ sich kraftlos in den Kissenberg fallen, der unter seinem Kopf aufgetürmt war, und lachte mit geschlosse-
    nen Lippen in sich hinein. »Annie Gander, natürlich. Die brave, gute Annie Gander.«

6
    Zeit, in den Ruhestand zu treten
    Er hörte den Wecker nicht läuten und versuchte, nicht allzu schuldbewußt auszusehen, als er um elf ins Büro kam, aber seine unerklärliche Verspätung schien Louise nahezu in Panik versetzt zu haben.
    »Oh, Mr. Robbins!« sagte sie atemlos, mit zitterndem Mund. »Mr. Hagerty versucht schon den ganzen Morgen, Sie zu erreichen.«
    »Gut, Louise, ich rufe ihn gleich an.«
    »Celia sagte, es sei sehr wichtig«, erklärte Daves Sekretärin händeringend.
    »Keine Bange, es ist nicht Ihre Schuld.« Er griff nach dem Hörer. Louise tanzte noch immer mit entsetzter Miene um ihn herum, und er konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen: »Um Gottes willen, Louise, es ist doch nicht der Weltuntergang!«
    Sie schnappte nach Luft, stopfte die Faust in den Mund und rannte zur Tür hinaus. Er wußte, in der nächsten Minute würde sie zu heulen beginnen, weshalb er beschloß, nicht zu telefonieren, sondern sich persönlich zu Hagerty zu begeben.
    Als er eintrat, blickte der Generaldirektor stirnrunzelnd auf, aber sein Stirnrunzeln schien nicht nur mit der Unpünktlichkeit Daves zusammenzuhängen. Er hatte offenbar auch noch etwas anderes auf dem Herzen, und es bedurfte eines fünf Minuten
    langen belanglosen Hin-und-Her-Geredes, um es herauszubringen.
    »Dave, wir sind in einer sonderbaren Branche tätig«, sagte er und blickte an ihm vorbei zum Fenster. »Sie verlangt Entschlüsse von uns – und zwar sehr oft. Manchmal sind es leichte – manchmal sehr schwere Entschlüsse. Entscheidend aber ist, daß man sich entschließt – egal, ob der Entschluß falsch oder richtig ist.«
    Dave schwieg.
    »Ich habe im Lauf der Zeit recht oft danebengehauen. Aber ich habe auch meine Fehler nie bereut. Verstehen Sie, was ich meine?«
    »Nicht ganz.«
    »Seit dreißig Jahren arbeite ich in der Branche. Lord & Thomas, Ayer, Sterling Getchel – ich bin viel herumgekommen, Dave. Und ich habe mich unter anderem deshalb durchsetzen können, weil ich die Fähigkeit besitze, Menschen richtig zu beurteilen. Gerade in der Werbebranche ist das das Allerwichtigste. Manchmal aber läßt man sich von seinen persönlichen Gefühlen irreleiten.«
    Der Generaldirektor verschränkte die Finger auf der Löschunterlage und sah aus wie ein Arzt, der seinem Patienten schlimme Neuigkeiten mitzuteilen hat.
    »Dave, ich habe einen Fehler begangen«, sagte er aufrichtig. »Es war ein erklärlicher Fehler. Sie und Ihre Arbeit haben mir so gut gefallen, daß ich mir einbildete, Sie müßten jedem beliebigen Auftrag gewachsen sein. Ehrlich gesagt, ich war egoistisch.«
    »Egoistisch?«
    »Richtig. Weil ich mich selber in Ihnen zu sehen glaubte, Dave, so, wie ich vor zwanzig Jahren war. Klug, draufgängerisch, bereit, alles anzupacken. Damals wußte ich noch nicht, was Reife und Erfahrung wert sind. Außerdem handelte es sich auch um Janey.«
    »Was hat denn Janey damit zu tun?«
    »Janey gehört zur Familie, Dave. Damit waren gewissermaßen auch Sie in die Familie einbezogen. Es ist nur natürlich, wenn man die Menschen bevorzugt, die man gern hat.«
    Dave schob seinen Stuhl nach hinten. »Sie sprechen von einem Fehler, den Sie begangen haben. Bezieht sich das auf mich?«
    »Mißverstehen Sie mich nicht, Dave. Es bedeutet nicht, daß Sie versagt hätten, nicht im geringsten. Ich war nur so sehr darauf aus, Ihnen den Erfolg in die Hände zu spielen, daß ich Ihnen eine zu schwere Belastung zumutete. Es ist nicht Ihre Schuld, Dave, glauben Sie mir! Ich nehme die ganze Verantwortung auf mich.«
    »Ich verstehe kein Wort. Habe ich etwas falsch gemacht? Ist in der Burke-Sache etwas schiefgegangen?«
    »Noch nicht, Dave, aber es liegen Anzeichen vor. Und bevor wir beide darunter zu leiden haben, entbinde ich Sie Ihres Auftrags.«
    »Wie bitte?«
    Hagerty schien Magenkrämpfe zu haben.
    »Es geht mir nahe, Dave, es geht mir wirklich sehr nahe. Ich habe vorbehaltlos auf Sie

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