Das Grauen im Bembelparadies (German Edition)
beherrschte er besser als unauffälliges Verhalten. Das hatte Herr Schweitzer schon in der Schule gelernt, als der Lehrer wissen wollte, wer ihm den nassen Schwamm auf den Stuhl gelegt hatte. Als hätte er nie etwas anderes im Sinn gehabt, wandte er sich mit geschultertem Rucksack nach dem Verlassen des Gartens umgehend nach rechts, Richtung Gerbermühle. Das ist jene traditionsreiche Gaststätte, in der der alte Schlawiner Goethe seinen 66. Geburtstag feierte und Frau Willemer kennenlernte.
Dass er zu spät gewesen war, juckte Herrn Schweitzer wenig. Was ihm aber immens zu schaffen machte, war sein knurrender Magen. Eine weitere Stunde ohne feste Nahrung und er würde Hungers sterben. Mit einem schweren Seufzer gedachte er Lauras Spaghetti. Eine halbe Stunde, mehr nicht, dann würde er zu Anglo-Sports zurückkehren.
Er hatte Glück. Die Gäste der Weizenbier-Kultur waren gerade unter lautstarkem Gegröle am Zahlen. Der Kellner aber schien nicht im Mindesten genervt. Herr Schweitzer musste sich geschlagene fünf Minuten gedulden, bis er sich setzen konnte. Flugs bestellte er das Züricher Geschnetzelte und einen Ebbelwoi, bevor sich der Kellner mit dem Tablett leerer Gläser entfernen konnte und er selbst an Auszehrung zusammenbrach. Er drückte den Knopf für Mikro und Kamera.
Dann ließ er seinen Blick über die Clique schweifen. Alle, die er bereits kannte, waren anwesend, und noch etliche mehr. Schnell erkannte Herr Schweitzer, dass es sich um die vorbereitende Sitzung zur anstehenden Rudermeisterschaft handeln musste. Ein älterer Herr im graumelierten Anzug las Namen von einer Liste. Achter mit Steuermann, Einer, Zweier, männlich sowie weiblich, und zum Schluss den Vierer, der ja bekanntlich um die Goldmedaille kämpfen sollte. Als der Name Mike Chavez fiel, versuchte Herr Schweitzer in dessen Gesicht zu lesen. Doch Chavez’ Grinsen konnte alles bedeuten. Oder nichts.
Dann wünschte der Herr allen Sportlern erfolgreiche Wettkämpfe und setzte sich wieder.
Als er das Züricher Geschnetzelte serviert bekam, leerte sich auch der Tisch schräg vor ihm. Nur ein einzelner Herr blieb sitzen, der anscheinend mit den Anderen nichts zu tun hatte. Seine schwarze Lederjacke ließ Herrn Schweitzer sofort an einen Bullen denken. Doch schnell verwarf er diesen Gedanken wieder. Warum zum Teufel sollten sie hier zu zweit observieren? Auch wenn jeder Zivilbulle eine Lederjacke trägt, so heißt das im Umkehrschluss ja noch lange nicht, dass jeder, der eine Lederjacke anhat, auch ein Bulle sein muss. Obwohl, auch die Turnschuhe des etwa Dreißigjährigen passten prima ins Schema.
Herr Schweitzer widmete sich seinem Essen. Und dachte, dass die Clique um Dora heute bestimmt nichts von Interesse bereden würde, was irgendwie weiterhelfen könnte. Zu viele fremde Ohren waren um die Tische versammelt.
Allerdings schien Dora mal wieder, im Gegensatz zu den letzten Abenden im Anglo-Sports, verdammt gut druff zu sein. Sie babbelte wie ein Wasserfall nach der Regenzeit und wechselte die Gesprächspartner alle paar Minuten.
Ohne es zu merken, schüttelte Herr Schweitzer den Kopf. Egal, was auch immer Dora für Drogen eingeworfen hatte, für ihn waren sie nichts. Drogen, die einen hyperaktiv werden ließen, widersprachen vehement seinem Naturell. Natürlich wusste er,dass zum Beispiel Koks einen enormen Schub bei der Arbeit bewirken konnte. Aber Herr Schweitzer arbeitete ja nur selten, und wenn, dann würde er sich doch vom Koks nicht auch noch hetzen lassen. Was sollte der Quatsch also? Marihuana war das einzig Richtige für ihn – wer trotz Joints noch arbeiten wollte, sollte umgehend die Dosis erhöhen. Aber vielleicht war die heutige Jugend ja anders gepolt.
Dem Hauptgang folgte die Nachspeise. Drei Kugeln Eis mit Vanillesoße. Auch sehr lecker.
Als sich die Abenddämmerung ankündigte, passierte etwas, mit dem Herr Schweitzer nun gar nicht gerechnet hatte, und dem Abend noch eine besondere Note verleihen sollte. Ein junger Kerl Typ Sportstudio-Jünger kreuzte auf, ging sofort zu Dora und knutschte sie dergestalt innig, dass es einerseits keine andere Meinung geben konnte und andererseits Mike Chavez’ gute Laune auf der Stelle zu einem Eisblock gefror. Zwar versuchte er es noch mit der guten Miene zum bösen Spiel, der Versuch fiel jedoch mickrig und verzweifelt aus. So nach dem Motto:
Macht überhaupt nix, dass der Vulkan ausgerechnet jetzt ausbricht und die Lava nur noch einen halben Meter von meinen Füßen entfernt
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