Das Grauen im Museum
wieder den Magnetismus, mit dem er den indianischen Talisman anzog. Die Ornamente glommen unheilvoll auf dem glänzenden, unbekannten Metall, und ich schauderte unwillkürlich, als ich die abnormen und blasphemischen Figuren betrachtete, die mich in ihrer exquisiten handwerklichen Ausführung höhnisch anzustarren schienen. Ich würde mir heute wünschen, ich hätte all diese Zeichen und Figuren seinerzeit sorgfältig fotografiert, aber vielleicht war es auch ganz gut, daß ich es unterließ. Über eines bin ich wahrhaft froh, nämlich darüber, daß ich nicht in der Lage war, das kauernde, krakenköpfige Monster zu identifizieren, das die meisten der ornamentalen Kartuschen beherrschte und in dem Manuskript »Tulu« genannt wurde. In letzter Zeit habe ich es jedoch, genau wie die Legenden in dem dazugehörigen Manuskript, mit neuentdeckten Volkssagen von dem monströsen Cthulhu in Verbindung gebracht, einem Horrorwesen, das von Sternen herabsickerte, als die junge Erde noch nicht ihre endgültige Gestalt angenommen hatte. Hätte ich damals etwas von diesem Zusammenhang geahnt, so hätte ich keine Minute mit diesem Ding im selben Zimmer sein können. Das zweitwichtigste Motiv, eine halb-anthropomorphe Schlange, war unschwer als ein Prototyp der höheren Wesen Yig, Quetzalcoatl und Kukulkan zu erkennen. Bevor ich den Zylinder öffnete, prüfte ich, ob er auch auf andere Metalle magnetisch wirkte, stellte jedoch fest, daß dies nicht der Fall war. Es war kein gewöhnlicher Magnetismus, der dieses morbide Fragment aus unbekannten Welten durchdrang und es mit Gegenständen seiner Art verband.
Nun endlich nahm ich das Manuskript heraus und begann mit der Übersetzung; ich legte eine englische Synopsis an und bedauerte hin und wieder das Fehlen eines Spanisch-Wörterbuches, wenn ich auf besonders obskure oder archaische Wörter oder Konstruktionen stieß. Es war ein unbeschreiblich seltsames Gefühl, mitten in meiner Erkundung dergestalt fast vier Jahrhunderte zurückversetzt zu werden, zurückversetzt in ein Jahr, in dem meine Vorfahren als wohlhabende Adelige unter Heinrich VIII. in Somerset und Devon lebten und noch keine Ahnung von dem Abenteuer hatten, das Menschen ihres Blutes nach Virginia und in die Neue Welt verschlagen würde, in dem jedoch diese neue Welt schon dasselbe brütende Geheimnis des Hügels besaß, das jetzt mein ganzes Denken und Trachten beherrschte. Dieses Gefühl des Zurückversetztseins war um so stärker, als ich instinktiv spürte, daß das gemeinsame Problem des Spaniers und meiner selbst eines von abgrundtiefer Zeitlosigkeit war, von so gottloser und unirdischer Ewigkeit, daß die spärlichen vierhundert Jahre, die uns trennten, daneben als eine kurze Zeitspanne erschienen. Ich brauchte nur einen einzigen Blick auf diesen monströsen und heimtückischen Zylinder zu werfen, um zu erkennen, welch schwindelerregende Abgründe zwischen allen Menschen der bekannten Erde und den urzeitlichen Mysterien klafften, die er verkörperte. Am Rande dieses Abgrunds standen Panfilo de Zamacona und ich Seite an Seite, doch es hätten auch Aristoteles und ich oder Cheops und ich gewesen sein können.
Von seiner Jugend in Luarca, einem kleinen, friedlichen Hafenstädtchen an der Bucht von Biscaya berichtete Zamacona nur wenig. Er war ein wildes Kind und ein jüngerer Sohn gewesen und im Jahre 1532 im Alter von erst zwanzig Jahren nach Neuspanien gekommen. Sensibel und phantasiebegabt, hatte er gebannt den Gerüchten von reichen Städten und unbekannten Welten im Norden gelauscht, besonders aber der Erzählung des Franziskanermönchs Marcos de Niza, der im Jahre 1539 von einer Reise zurückgekehrt war und phantastische Geschichten vom sagenhaften Cibola und seinen großen ummauerten Städten mit ihren steinernen Terrassenhäusern mitgebracht hatte. Als er von Coronados Plänen erfuhr, eine Expedition zu diesen Wundern und zu noch größeren Wundern, die angeblich hinter dem Land der Büffel liegen sollten zu unternehmen, gelang es dem jungen Zamacona, einer der dreihundert Auserwählten zu werden, mit denen Zamacona im Jahre 1540 nach Norden aufbrach.
Die Geschichtsschreibung berichtet nur vom Ablauf dieser Expedition, wie Cibola sich lediglich als das verdreckte Pueblo-Dorf Zuni erwies, und wie de Niza wegen seiner blumigen Übertreibungen mit Schimpf und Schande nach Mexiko
zurückgeschickt wurde, wie Coronado als erster den Grand Canyon sah und wie er in Cicuye, am Pecos, von einem Indianer namens El
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