Das Grauen im Museum
Renaissance Zamaconas Denken und Fühlen so sehr beherrschte. Die Tür des Bauwerks stand weit offen, und im fensterlosen Inneren herrschte Dunkelheit. Zamacona überwand den Abscheu, den die Reliefs in ihm erregt hatten, holte Feuerstein und Stahl hervor, zündete eine seiner Fackeln an, schob Girlanden von Schlingpflanzen beiseite und trat beherzt über die ominöse Schwelle.
Einen Moment lang traute er seinen Augen nicht. Nicht der alles überziehende, jahrhundertealte Staub und Spinnweben erschreckte ihn so, daß ihm selbst ein entsetzter Aufschrei in der Kehle steckenblieb, nicht das Geflatter geflügelter Wesen, nicht die grauenerregenden Skulpturen an den Wänden oder die bizarren Formen der zahlreichen Wasserund Kohlebecken, nicht der unheimliche pyramidenförmige Altar mit dem hohlen Oberteil oder die krakenköpfige, in einem seltsamen, dunklen Metall ausgeführte Monstrosität, die brütend und glotzend auf ihrem mit Hieroglyphen versehenen Podest hockte. Über keines dieser unirdischen Dinge erschrak er bis ins Mark, sondern darüber, daß mit Ausnahme des Staubs, der Spinnweben, der Flügelwesen und des gigantischen, smaragdäugigen Götzenbilds der ganze Tempel und alles, was sich darin befand, aus reinem, massivem Gold war.
Selbst die Handschrift, die zu einer Zeit entstand, als Zamacona bereits wußte, daß Gold das verbreitetste Metall der Unterwelt ist, in der es allenthalben in reichen Flözen und Adern vorkommt, läßt noch erkennen, in welchen Begeisterungsrausch der Abenteurer geriet, als er sich plötzlich der Quelle all der indianischen Legenden von goldenen Städten gegenübersah. Er büßte vorübergehend die Fähigkeit zu detaillierter Beobachtung ein, doch dann kam er wieder zu sich, als er in der Tasche seines Wamses ein merkwürdiges Ziehen und Rucken verspürte. Als er der Ursache dieser merkwürdigen Erscheinung nachging, stellte er fest, daß die Medaille aus dem seltsamen Metall, die er auf der verlassenen Straße gefunden hatte, von dem riesigen, krakenköpfigen, smaragdäugigen Götzenbild auf dem Podest angezogen wurde, das, wie er jetzt bemerkte, aus dem gleichen, unbekannten exotischen Metall zu sein schien. Später sollte er erfahren, daß diese seltsame magnetische Substanz, in der Unterwelt ebenso fremdartig wie in der überirdischen Welt der Menschen, das einzige kostbare Edelmetall der blau erleuchteten Tiefen ist. Niemand weiß, was es ist oder wo es in der Natur vorkommt, und die geringen Mengen davon, die es auf diesem Planeten gibt, kamen mit den außerirdischen Wesen von den Sternen, als der große Tulu, der krakenköpfige Gott, sie auf die Erde gebracht hatte. Die einzige bekannte Quelle des Metalls war eine Reihe vorzeitlicher Artefakte, darunter zahlreiche zyklopische Götzenbilder. Es konnte nie klassifiziert oder analysiert werden und wirkte auf kein anderes Metall magnetisch. Es war das heilige Metall des unterirdischen Volkes, dessen Verwendung so geregelt war, daß seine magnetischen Eigenschaften keine Schwierigkeiten hervorrufen konnten. Eine sehr schwach magnetische Legierung mit Metallen wie Eisen, Gold, Silber, Kupfer oder Zink war in einem bestimmten Abschnitt seiner Geschichte das Münzmetall der
Unterweltbewohner gewesen. Ein jäher Schreck riß Zamacona aus seinen Überlegungen über das seltsame Götzenbild und seinen Magnetismus, denn zum erstenmal hörte er in dieser Welt der Stille ein sehr deutliches, dröhnendes Geräusch, das offenbar näherkam. Über seine Herkunft konnte es keinen Zweifel geben. Es war eine mit donnernden Hufen dahinstürmende Herde großer Tiere, und der Spanier, dem sofort die panische Angst des Indianers, die Spuren und die aus der Ferne wahrgenommene dunkle Masse in den Sinn kamen, schauderte in angstvoller Erwartung. Er versuchte nicht, seine Lage oder die Bedeutung dieses Ansturms großer, trampelnder Tiere systematisch zu durchdenken, sondern folgte nur seinem instinktiven Selbsterhaltungstrieb. Dahinstürmende Herden halten nicht an, um an versteckten Stellen nach Opfern zu suchen, und in der oberirdischen Welt hätte Zamacona sich in einem so massiven, von Bäumen umstandenen Gebäude ziemlich sicher gefühlt. Irgendein Instinkt hatte ihm hier jedoch ein tiefes und ganz
eigentümliches Grauen eingepflanzt, so daß er sich in höchster Panik nach einer Möglichkeit umsah, sich vor der herandonnernden Herde in Sicherheit zu bringen. Da der große, goldene Innenraum des Tempels keine Zufluchtsstätte zu bieten schien,
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