Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Grauen im Museum

Das Grauen im Museum

Titel: Das Grauen im Museum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
Vom Netzwerk:
Ewigkeiten, so schien mir, waren vergangen, als ich mich endlich zu der lockenden Palme hinaufschleppte und mich still in ihren schützenden Schatten legte.
    Nun folgten Geschehnisse, die mich abwechselnd zu den Extremen der Ekstase und des Entsetzens brachten, Geschehnisse, deren ich mich nur zitternd erinnere und die ich nicht zu deuten wage. Kaum war ich unter das tief hängende Laubwerk der Palme gekrochen, als von ihren Wedeln ein junges Kind herabfiel, ein Kind von nie gesehener Schönheit. Obgleich zerlumpt und staubig, trug dieses Wesen die Züge eines Fauns oder Halbgottes und schien im dichten Schatten des Baumes beinahe Licht auszustrahlen. Es lächelte und streckte mir die Hand hin, doch bevor ich aufstehen und etwas sagen konnte, hörte ich in luftiger Höhe feinen, melodischen Gesang, in dem sich hohe und tiefe Töne mit sublimer, ätherischer Harmonie verbanden. Die Sonne war unterdessen unter den Horizont gesunken, und im Dämmerlicht sah ich, daß eine Aureole flackernden Lichts den Kopf des Kindes umgab. Mit silberheller Stimme sprach es mich an: »Es ist das Ende. Sie sind durch das Zwielicht von den Sternen gekommen. Jetzt ist alles vorbei, und jenseits der Arinurischen Ströme werden wir glückselig in Teloe wohnen.« Während das Kind sprach, sah ich einen weichen Lichtschimmer, der durch die Blätter der Palme fiel, und mich erhebend begrüßte ich zwei Gestalten, von denen ich wußte, daß sie die Vorsänger unter denen waren, die ich gehört hatte. Ein Gott und eine Göttin müssen sie gewesen sein, denn solche Schönheit ist nicht sterblich; und sie nahmen meine Hand und sagten: »Komm, Kind, du hast die Stimmen gehört, und alles ist gut. In Teloe, jenseits der Milchstraße, und in den Arinurischen Strömen sind Städte ganz aus Bernstein und Chalcedon. Und auf ihren facettenreichen Kuppeln glitzern die Bilder fremder und schöner Sterne. Unter den Elfenbeinbrücken von Teloe fließen Flüsse aus flüssigem Gold, und auf ihnen schwimmen Vergnügungsboote, die unterwegs sind nach dem blühenden Cytharion der Sieben Sonnen. Und in Teloe und Cytharion wohnen nur Jugend, Schönheit und Lust, und man hört auch keine Geräusche, es sei denn Gelächter, Gesang und die Laute. Nur die Götter wohnen in Teloe von den goldenen Flüssen, doch unter ihnen sollst du wohnen.«
    Indes ich verzückt lauschte, wurde ich plötzlich einer Veränderung in meiner Umgebung gewahr. Die Palme, die eben noch meine erschöpfte Gestalt beschattet hatte, befand sich jetzt ein gutes Stück links und deutlich unter mir. Sie schwebte offenbar in der Atmosphäre, begleitet nicht nur von dem merkwürdigen Kind und dem strahlenden Paar, sondern auch von einer stetig wachsenden Menge halbleuchtender, mit Weinlaub umkränzter junger Männer und Mädchen mit fröhlichen Gesichtern und im Wind wehendem Haar. Langsam erhoben wir uns gemeinsam, wie von einer duftenden Brise getragen, die nicht von der Erde kam, sondern von den goldenen Sternennebeln, und das Kind flüsterte mir ins Ohr, ich müsse stets nach oben schauen in die Bahnen des Lichts und niemals zurück zu der Sphäre, die ich eben verlassen hatte. Die jungen Männer und Mädchen sangen nun zur Begleitung der Laute liebliche Choriamben, und ich war eingehüllt von einem Frieden und einem Glück, tiefer, als ich es mir je vorgestellt hatte, als das Eindringen eines einzigen Lautes mein Schicksal änderte und meine Seele zerbrach. Durch die entzückenden Weisen der Sänger und Lautenisten kam wie als höhnische, dämonische Begleitung aus den Abgründen unter uns dieses fluchwürdige, abscheuliche Donnern und Toben des furchtbaren Ozeans, und als diese schwarzen Brecher ihre Botschaft in mein Ohr pochten, vergaß ich die Worte des Kindes und schaute zurück, hinab auf die Szene des Unheils, der ich entkommen zu sein glaubte.
    Durch den Äther sah ich tief drunten die vermaledeite Erde sich drehen, auf ewig sich drehen, mit zornigen, stürmischen Seen, die gegen wilde, öde Küsten anrannten und Gischt an die zerbrökkelnden Türme verlassener Städte warfen. Und unter einem gespenstischem Mond glommen Anblicke, die ich nie beschreiben, Anblicke, die ich nie vergessen könnte; Wüsten von leichenartigem Lehm und Dschungel des Verfalls und der Dekadenz, wo sich einst die volkreichen Ebenen und Dörfer meines Heimatlandes erstreckten, und Malströme strudelnder Ozeane, wo einst die mächtigen Tempel meiner Vorväter standen. Um den Nordpol dampfte ein Morast ekliger

Weitere Kostenlose Bücher