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Das Grauen im Museum

Das Grauen im Museum

Titel: Das Grauen im Museum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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wußte damals nicht und wüßte auch heute nicht zu sagen, was es gewesen ist. Auch zu meiner Rechten war Meer, aber es war blau, still und nur ganz sachte gewellt, während der Himmel darüber dunkler und das ausgewaschene Ufer eher weiß als rötlich war.
    Ich wandte nun mein Augenmerk dem Lande zu und fand neuerlich Grund zum Staunen, denn die Vegetation war anders als alles, was ich je gesehen oder wovon ich gelesen hatte. Sie war offenkundig tropisch oder zumindest subtropisch, ein Eindruck, den die starke Hitze der Luft bestätigte. Manchmal meinte ich, seltsame Analogien zu der Flora meines Vaterlandes zu entdekken, stellte mir vor, daß die vertrauten Pflanzen und Sträucher in einem anderen Klima wohl solche Gestalt annehmen könnten, doch die gigantischen und allgegenwärtigen Palmen waren unbezweifelbar fremdartig. Das Haus, das ich gerade verlassen hatte, war sehr klein, kaum größer als ein Bauernhaus, doch es war offensichtlich aus Marmor erbaut, und seine Architektur war sonderbar und kompliziert, eine eigenartige Mischung aus okzidentalen und orientalischen Formen. An den Ecken waren korinthische Säulen, aber das rote Ziegeldach ähnelte dem einer chinesischen Pagode. Von der Tür landeinwärts verlief ein Pfad aus einzigartig weißem Sand, etwa vier Fuß breit und zu beiden Seiten von stattlichen Palmen und unbekannten blühenden Büschen und Pflanzen gesäumt. Er lag mehr auf der Seite des Vorgebirges, wo das Meer blau und das Ufer weißlich waren. Diesen Pfad entlang zu fliehen fühlte ich mich gedrängt, als verfolgte mich ein böser Geist aus dem donnernden Ozean. Zuerst führte der Weg leicht bergan, dann erreichte ich eine sanfte Kuppe. Hinter mir sah ich die Szene, die ich verlassen hatte, die ganze Landspitze mit dem Häuschen und dem schwarzen Wasser, mit der grünen See auf der einen und der blauen See auf der anderen Seite und einem namenlosen und unbenennbaren Fluch, der sich über das alles
    herabsenkte. Ich habe es nie mehr gesehen, und ich frage mich oft … Nach diesem letzten Blick ging ich weiter und betrachtete das Panorama, das sich landeinwärts vor mir ausbreitete.
    Der Pfad verlief, wie bereits erwähnt, an der rechten Küste, wenn man landeinwärts ging. Vor mir und zu meiner Linken erblickte ich nun ein prachtvolles Tal von vielen Tausenden Morgen, dicht bewachsen mit wehenden, übermannshohen tropischen Gräsern. Fast am äußersten Rand meines Gesichtskreises stand eine riesige Palme, die mich faszinierte und mich zu locken schien. Unterdessen hatten mein Staunen und die geglückte Flucht von der gefährdeten Halbinsel meine Ängste weitgehend zerstreut, doch als ich mich müde auf den Pfad sinken ließ, um zu rasten, und dabei müßig die Hände in den warmen, weißgoldenen Sand grub, überfiel mich abermals ein akutes Gefühl der Gefahr und Bedrohung. Irgendein Schrecknis in dem wehenden hohen Gras gesellte sich zu der diabolisch donnernden See, und ich fuhr auf und rief laut und ohne Sinn und Verstand:
    »Tiger? Tiger? Ist es ein Tiger? Bestie? Bestie? Ist es eine Bestie, vor der ich mich fürchte?« Ich dachte zurück an eine alte, antike Geschichte von Tigern, die ich gelesen hatte, versuchte, mich des Autors zu erinnern, hatte jedoch Schwierigkeiten. Dann fiel mir trotz meiner Angst wieder ein, daß die Geschichte von Rudyard Kipling war, und mir wurde nicht bewußt, wie grotesk es war, ihn für einen antiken Autor zu halten. Ich sehnte mich nach dem Band, der diese Geschichte enthielt, und war schon beinahe entschlossen, zu dem verdammten Häuschen zurückzukehren, um ihn zu holen, als die Vernunft und die Lockung der Palme mich doch noch davon abhielten.

    Ob ich der Verlockung zurückzugehen ohne die entgegenwirkende Faszination der riesigen Palme widerstanden hätte, das weiß ich nicht. Diese Faszination war jetzt am stärksten, und ich verließ den Pfad und kroch auf Händen und Knien den Abhang hinunter ins Tal, trotz meiner Angst vor dem Gras und den Schlangen, die es beherbergen mochte. Ich war entschlossen, so lange wie möglich gegen alle Bedrohungen von See oder Land um Leben und Vernunft zu kämpfen, obgleich ich mitunter die Niederlage fürchtete, wenn das tückische Zischeln der unheimlichen wehenden Gräser sich mit dem immer noch hörbaren, irritierenden Donnern der fernen Brecher verband. Oft blieb ich stehen und hielt mir schützend die Hände über die Ohren, doch auch so konnte ich die abscheulichen Geräusche nicht ganz unterdrücken.

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