Das Grauen im Museum
bestimmt? Ich habe nur noch ein letztes Zufluchtsmittel; den Gedanken daran hat mir meine abgrundtiefe Verzweiflung eingegeben. Ich wollte, ich hätte schon eher daran gedacht. Ich erinnerte mich daran, daß ich in meinem Arzneikoffer die beiden Substanzen habe, die man zur Erzeugung von Chlorgas braucht, und habe
beschlossen, den Raum mit dem tödlichen Dampf zu füllen und so die Fliege zu
ersticken, während ich mich selbst mit einem in Ammoniak getränkten, vors Gesicht gehaltenen Taschentuch schütze. Zum Glück habe ich genug Ammoniak bei mir. Diese behelfsmäßige Maske wird wahrscheinlich die scharfen Chlordämpfe neutralisieren, bis das Insekt tot ist oder wenigstens so weit betäubt, daß ich es zermalmen kann. Aber ich muß schnell machen. Woher will ich wissen, daß das Insekt sich nicht plötzlich auf mich stürzt, ehe ich mit meinen Vorbereitungen fertig bin? Eigentlich dürfte ich keine Zeit mehr mit diesem Tagebuch verschwenden. Später -beide Chemikalien Salzsäure und Mangandioxyd -stehen fertig zum Mischen auf dem Tisch. Ich habe mir das Handtuch über Nase und Mund gebunden und eine Flasche Ammoniak in Reichweite stehen, um es damit zu tränken, bis das Chlorgas sich verflüchtigt hat. Ich habe beide Fenster abgedichtet. Aber was diese Teufelsfliege macht, gefällt mir gar nicht. Sie ist immer noch auf dem Zifferblatt, kriecht aber ganz langsam von der Zahl zwölf rückwärts auf den langsam hochsteigenden Minutenzeiger zu. Wird dies mein letzter Eintrag in dieses Tagebuch sein ? Es wäre sinnlos, den Verdacht abzustreiten, der mich beschleicht. Nur allzuoft steckt ja ein Körnchen unfaßlicher Wahrheit in den abenteuerlichsten und phantastischsten Legenden. Versucht die Persönlichkeit von Henry Moore, mir in Gestalt dieses blaugeflügelten Teufels den Garaus zu machen? Ist dies die Fliege, die ihn stach und deshalb sein Bewußtsein aufnahm, als er starb? Wenn dem so ist, und wenn sie mich sticht, wird dann meine eigene Persönlichkeit die von Moore verdrängen und in diesem summenden Körper eingeschlossen sein, wenn ich später an dem Stich sterbe? Aber vielleicht muß ich gar nicht sterben, selbst wenn sie mich sticht. Ich habe ja immer noch das Tryparsamid. Und ich bereue nichts. Moore mußte sterben, was auch immer die Folgen sein mögen. Etwas später.
Die Fliege ist auf der Uhr in der Nähe der Ziffer neun stehengeblieben. Es ist jetzt elf Uhr dreißig. Ich tränke das Taschentuch über meinem Gesicht mit Ammoniak und halte die Flasche bereit. Dies wird der letzte Eintrag sein, bevor ich die beiden Chemikalien vermische und das Chlorgas entweicht. Ich sollte nicht länger zögern, aber es beruhigt mich, alles aufzuschreiben. Von diesen Blättern abgesehen, habe ich schon vor Tagen mein letztes bißchen Vernunft eingebüßt. Die Fliege scheint unruhig zu werden, und der Minutenzeiger nähert sich ihr. Nun das Chlorgas… [Ende des Tagebuchs]
Als am Sonntag, dem 2.4. Januar 1932, der exzentrische Gast in Zimmer 303 des Orange Hotels sich auch auf wiederholtes Klopfen nicht meldete, verschaffte sich ein schwarzer Hotelangestellter mit einem Passepartout-Schlüssel Zugang zu dem Zimmer und floh augenblicklich schreiend die Treppe hinunter, um dem Portier zu sagen, was er in dem Zimmer vorgefunden hatte. Der Portier rief die Polizei an und holte den Geschäftsführer, und dieser begleitete den Polizeibeamten De Witt, den Leichenbeschauer Bogaert und den Arzt Dr. Van Keulen in das grausige Zimmer.
Der Gast lag tot auf dem Fußboden, das Gesicht nach oben und mit einem Taschentuch umwickelt, das stark nach Ammoniak roch. Die Gesichtszüge unter dem Tuch zeigten einen Ausdruck äußersten Entsetzens, der sich auf die Beobachter übertrug. Am Nacken des Mannes fand Dr. Van Keulen einen frischen Insektenstich dunkelrot, mit einem violetten Ring -, der von einer Tsetsefliege oder auch einem weniger harmlosen Insekt stammen konnte. Die Untersuchung ergab, daß der Tod nicht durch den Stich, sondern durch Herzversagen infolge panischer Angst eingetreten war obwohl die später vorgenommene Autopsie ergab, daß sich im Blutkreislauf des Toten der Erreger der Schlafkrankheit befand.
Auf dem Tisch lagen verschiedene Gegenstände ein in Leder gebundenes Buch mit den hier wiedergegebenen Tagebucheinträgen, ein Federhalter, eine Schreibunterlage, ein offenes Tintenfaß, ein Arzneikoffer mit den goldenen Initialen »T. S.«, Flaschen mit Ammoniak und Salzsäure sowie ein etwa zu einem Viertel
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