Das Grauen im Museum
gefüllter Krug mit Mangandioxyd. Die Ammoniakflasche bedurfte genauerer Untersuchung, weil etwas in der Flüssigkeit zu schwimmen schien. Bei näherem Hinsehen erkannte Leichenbeschauer Bogaert, daß es sich um eine Fliege handelte.
Es war offenbar eine Kreuzung, die vage an eine Tsetsefliege erinnerte, doch die Flügel, die trotz der Wirkung des konzentrierten Ammoniaks schwach bläulich wirkten, waren absolut rätselhaft. Irgend etwas daran weckte in Dr. Van Keulen die Erinnerung an etwas, was er in der Zeitung gelesen hatte eine Erinnerung, die das Tagebuch schon bald bestätigen sollte. Die unteren Teile der Fliege wirkten wie mit Tinte gefärbt, und zwar so stark, daß das Ammoniak die Färbung nicht hatte ausbleichen können. Wahrscheinlich war sie irgendwann in das Tintenfaß gefallen, wobei jedoch merkwürdig war, daß die Flügel keine Tintenspuren aufwiesen. Aber wie war das Insekt durch den schmalen Hals in die Ammoniakflasche geraten? Es war, als ob das Tier absichtlich hineingekrochen sei, um seinem Leben selbst ein Ende zu setzen!
Am seltsamsten aber war, was De Witt an der glatten, weißen Decke sah, als er seine Blicke durchs Zimmer schweifen ließ. Sein überraschter Aufschrei ließ auch die anderen hinaufschauen -sogar Dr. Van Keulen, der schon seit einer Weile das abgegriffene lederne Notizbuch mit einem aus Entsetzen, Faszination und
Ungläubigkeit gemischten Ausdruck durchgeblättert hatte. Was die Männer da an der Decke sahen, war eine Reihe zittriger Spuren, wie sie ein in Tinte getauchtes, krabbelndes Insekt hinterlassen könnte. Und alle mußten sofort an die Tintenfärbung der Fliege denken, die eigenartigerweise in der Ammoniakflasche gefunden worden war.
Aber das waren keine zufälligen Tintenspuren. Schon auf den ersten Blick wirkten sie gespenstisch vertraut, und bei genauerer Betrachtung konnten alle vier Männer nur ungläubig staunen. Der Leichenbeschauer Bogaert sah sich unwillkürlich im Zimmer nach irgendwelchen Möbelstücken oder Gegenständen um, die man so hätte aufeinandertürmen können, daß ein Mensch die Zeichen an die Decke hätte malen können. Aber da er nichts dergleichen entdeckte, fuhr er nur fort, neugierig und ungläubig an die Decke zu starren.
Denn diese Tintenspuren bildeten ohne jeden Zweifel deutlich erkennbare
Buchstaben des Alphabets, die sich zu sinnvollen Worten zusammenschlössen. Der Arzt war der erste, der diese Worte entzifferte, und die anderen hörten atemlos zu, als er die verrückt klingende Mitteilung vorlas, die nicht von menschlicher Hand geschrieben sein konnte:
»seht MEIN tagebuch ES STACH MICH ich STARB DANN SAH ICH DASS ICH IN IHMWAR die SCHWARZEN HABEN RECHT seltsame MÄCHTE DER natur jetzt WERDE ICH ERTRÄNKEN WAS ÜBRIG IST -«
Während die anderen noch in sprachloser Verblüffung dastanden, begann Dr. Van Keulen, laut aus dem abgegriffenen, in Leder gebundenen Tagebuch vorzulesen.
DAS LETZTE EXPERIMENT von Adolphe de Castro und H. P. Lovecraft
Nur wenige kennen die Hintergründe der Clarendon-Affäre oder wissen auch nur, daß es überhaupt Hintergründe gibt, die nicht in die Zeitungen gelangten. Die Affäre erregte in San Francisco in der Zeit vor dem Brand ungeheures Aufsehen, sowohl wegen der Panik und der Bedrohung, die mit ihr einhergingen, als auch deswegen, weil der Gouverneur des Staates in die Vorgänge verwickelt war. Gouverneur Dalton, so wird man sich erinnern, war Clarendons bester Freund und heiratete später seine Schwester. Weder Dalton noch Mrs. Dalton sprachen jemals über die peinliche Angelegenheit, aber irgendwie sickerten die Tatsachen doch durch, wenn auch nur innerhalb eines kleinen Kreises. Wäre dem nicht so, und hätte nicht die Zeit einen Schleier der Unpersönlichkeit über die Beteiligten geworfen, so würde man immer noch zögern, die seinerzeit so streng gehüteten Geheimnisse ans Licht zu holen.
Die Ernennung von Dr. Alfred Clarendon zum medizinischen Direktor des Zuchthauses St. Quentin im Jahre 1898 wurde in ganz Kalifornien mit Begeisterung aufgenommen. San Francisco hatte nun endlich die Ehre, einen der größten Biologen und Ärzte seiner Zeit in seinen Mauern zu beherbergen, und man durfte erwarten, daß führende Pathologen aus aller Welt in die Stadt strömen würden, um seine Methoden zu studieren, von seinen Ratschlägen und Forschungen zu profitieren und sich Anregungen für die Bewältigung ihrer eigenen Probleme zu Hause zu holen. Kalifornien würde beinahe über Nacht zu
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