Das Grauen im Museum
in Pantoffeln und Hausmantel eingetauscht hatte, ließ es sich gefallen, daß Georgina ihn wie ein Kind behandelte. Er lächelte nur traurig, wenn sie ihn bemutterte, und folgte ihr aufs Wort. Eine Atmosphäre heiterer, beinahe glücklicher Gelassenheit durchzog das Haus, in die nur Surama eine dissonante Note brachte. Er war offenbar
todunglücklich und hatte für Georginas Heiterkeit oft nur mürrische, mißgünstige Blicke übrig. Die vielfältigen Experimente im Labor waren seine einzige Freude gewesen, und er litt darunter, daß er nun nicht mehr die zum Tode verurteilten Tiere packen, sie in seinen Fängen ins Labor bringen und mit heißen, brütenden Blicken und bösem Glucksen zusehen konnte, wie sie nach und nach mit aufgerissenen, rotgeränderten Augen und geschwollener Zunge im schaumbedeckten Maul ins Koma fielen.
Der Anblick der sorglosen Kreaturen in ihren Käfigen trieb ihn jetzt anscheinend zur Verzweiflung, und er kam oft zu Clarendon, um ihn zu fragen, ob er irgendwelche Befehle hätte. Wenn sich dann zeigte, daß der Arzt immer noch apathisch war und nicht daran dachte, seine Arbeit fortzusetzen, entfernte er sich leise fluchend und böse Blicke in alle Richtungen werfend und schlich sich wie auf Katzenpfoten in seine Unterkunft im Kellergeschoß, wo man ihn dann bisweilen einen Singsang in tiefen, gedämpften Rhythmen anstimmen hörte, der auf blasphemische Weise fremdartig war und unbehagliche Erinnerungen an allerlei gottlose Riten weckte. Dies alles ging Georgina zwar auch auf die Nerven, beunruhigte sie aber bei weitem nicht so wie die fortgesetzte Untätigkeit ihres Bruders. Sie machte sich Sorgen, weil dieser Zustand nun schon so lange dauerte, und büßte nach und nach die Heiterkeit ein, die den Laborassistenten so aufgebracht hatte. Selbst medizinisch gebildet, erschien ihr der Zustand ihres Bruders aus neurologischer Sicht als höchst unbefriedigend, und der völlige Mangel an Interesse und Aktivität beunruhigte sie nun genauso wie früher sein fanatischer Eifer. Würde schleichende Melancholie aus diesem hochintelligenten Menschen schließlich einen harmlosen Schwachkopf machen?
Gegen Ende Mai trat dann eine unvorhergesehene Änderung ein. Georgina erinnerte sich auch lange danach noch an jede Einzelheit im Zusammenhang mit diesem Ereignis, beispielsweise an so triviale Details wie das Paket, das Surama am Tag zuvor aus Algier bekommen hatte und das einen höchst unangenehmen Geruch verströmte, oder das schwere, plötzlich aufziehende Gewitter, das, eine
ausgesprochene Seltenheit in Kalifornien, in dieser Nacht losbrach, als Surama gerade mit dröhnender Bruststimme lauter und intensiver als sonst seine rituellen Gesänge anstimmte.
Es war ein schöner Tag gewesen, und sie hatte im Garten Blumen für das Speisezimmer gepflückt. Als sie wieder ins Haus kam, sah sie ihren Bruder vollständig angezogen in der Bibliothek am Tisch sitzen und abwechselnd seine Notizen in seinem dicken Laborjournal vergleichen und mit raschen, sicheren
Federstrichen neue Einträge machen. Er war munter und vital, und seine
Bewegungen waren von erfreulicher Geschmeidigkeit, wenn er ab und zu eine Seite umwandte oder nach einem Buch griff. Erfreut und erleichtert, brachte Georgina rasch ihre Blumen ins Eßzimmer und kehrte dann gleich zurück, doch als sie in die Bibliothek kam, stellte sie fest, daß ihr Bruder nicht mehr da war. Sie konnte sich natürlich denken, daß er im Labor arbeitete, und war überglücklich, daß er offenbar seine alte Tatkraft wiedergefunden hatte. Da sie wußte, daß es zwecklos gewesen wäre, mit dem Mittagessen auf ihn zu warten, aß sie allein und stellte ihm etwas warm, für den Fall, daß er irgendwann zurückkäme. Aber er kam nicht. Er hatte viel nachzuholen und war immer noch in dem großen, mit dicken Bohlen verkleideten Labor, als sie einen Spaziergang durch das Rosenspalier machte.
Während sie zwischen den duftenden Blüten dahinschritt, sah sie, wie Surama gerade wieder Versuchstiere aus den Käfigen holte. Es wäre ihr lieber gewesen, sie hätte ihn nicht so oft gesehen, denn sie mußte jedesmal schaudern, doch gerade dieses Grauen hatte ihre Augen und Ohren für alles geschärft, was mit ihm zusammenhing. Er ging immer ohne Hut im Garten umher, und die völlige Haarlosigkeit seines Kopfes ließ diesen noch mehr wie einen Totenschädel erscheinen. Jetzt hörte sie ein leises Glucksen, als er einen kleinen Affen aus seinem Käfig an der Wand nahm und ins Labor
Weitere Kostenlose Bücher