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Das Grauen im Museum

Das Grauen im Museum

Titel: Das Grauen im Museum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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trug, die langen, knochigen Finger so grausam in das Fell des Tieres gekrallt, daß dieses in panischer Angst aufschrie. Der Anblick war ihr zuwider, und sie machte auf der Stelle kehrt. Alles in ihr lehnte sich gegen die Herrschaft auf, die diese Kreatur über ihren Bruder erlangt hatte, und es kam ihr der bittere Gedanke in den Sinn, daß die beiden ihre Rollen als Herr und Diener beinahe vertauscht hatten.

    Es wurde Nacht, ohne daß Clarendon ins Haus zurückgekehrt wäre, und Georgina schloß daraus, daß er mit einem seiner langwierigen Experimente beschäftigt war, bei denen ihm stets jedes Zeitgefühl abhanden kam. Sie wollte nicht zu Bett gehen, ohne vorher mit ihm über seine überraschende Genesung gesprochen zu haben, doch dann sah sie ein, daß es keinen Zweck hatte, auf ihn zu warten, schrieb ein paar fröhliche Worte auf einen Zettel, den sie auf den Bibliothekstisch stellte, und ging zu Bett. Sie war noch nicht ganz eingeschlafen, als sie die Haustür aufund wieder zugehen hörte. Das Experiment dauerte also doch nicht die ganze Nacht! Um dafür zu sorgen, daß ihr Bruder noch etwas aß, bevor er zu Bett ging, stand sie auf, warf einen Morgenrock über und ging zur Bibliothek hinunter, blieb jedoch vor der angelehnten Tür stehen, als sie drinnen Stimmen hörte. Clarendon und Surama sprachen miteinander, und sie wollte warten, bis der Laborassistent ging. Surama machte jedoch keine Anstalten, sich aus dem Zimmer zu entfernen; im Gegenteil, aus dem erhitzten Tonfall schloß sie, daß es sich um eine wichtige Unterredung handelte, die wohl noch eine Weile dauern würde. Obwohl sie die beiden nicht hatte belauschen wollen, verstand Georgina hin und wieder einen Satz und meinte, einen düsteren Sinn herauszuhören, der ihr Angst einjagte, obwohl sie nicht genau verstand, worum es ging. Die nervöse, schneidende Stimme ihres Bruders fesselte mit beunruhigender Hartnäckigkeit ihre Aufmerksamkeit.
    »Aber die Tiere«, sagte er gerade, »reichen nicht mal mehr für einen Tag, und du
    weißt doch, wie schwer es ist, kurzfristig größere Mengen zu beschaffen. Ich finde, es ist Unsinn, so viel Zeit mit minderwertigem Material zu verschwenden, wo man doch mit etwas mehr Sorgfalt auch menschliche Exemplare bekommen könnte.« Georgina wurde schwindlig bei dem Gedanken, was das bedeuten konnte, und mußte sich an dem Regal im Flur festhalten. Surama antwortete mit der tiefen, hohlen Stimme, in der alles Böse aus tausend Epochen und von tausend Planeten mitzuschwingen schien.
    »Sachte, sachte — was für ein Kind du doch bist in deiner Hast und Ungeduld. Alles mußt du überstürzen. Wenn du einmal so lange gelebt hast wie ich, so daß dir ein ganzes Menschenleben wie eine Stunde vorkommt, wird dir ein Tag oder eine Woche oder ein Monat auch nicht mehr so wichtig sein! Du arbeitest zu schnell. Du hast genug Exemplare für eine ganze Woche in den Käfigen, wenn du dir die Arbeit vernünftig einteilst. Du könntest sogar mit dem älteren Material anfangen, du dürftest es nur nicht übertreiben.«
    »Was heißt hier übertreiben«, kam wie aus der Pistole geschossen die Antwort. »Ich habe eben meine eigenen Methoden. Ich will unser eigenes Material nicht verwenden, wenn es nicht unbedingt sein muß, denn sie sind mir lieber so, wie sie sind. Außerhalb solltest du dich vor ihnen in acht nehmen du weißt ja, was für Messer diese schlauen Teufel mit sich herumtragen.« Suramas tiefes Glucksen war zu hören.
    »Mach dir deswegen keine Sorgen. Die Bestien müssen ja auch mal essen, oder? Jedenfalls kann ich dir jederzeit einen greifen, wenn du einen brauchst. Aber laß dir Zeit jetzt, wo der Junge weg ist, sind es nur noch acht, und ohne St. Quentin wird es schwierig werden, neue in größerer Zahl zu bekommen. Ich rate dir, mit Tsanpo anzufangen. Er nützt dir am wenigsten, so wie er ist, und…«
    Doch das war alles, was Georgina hörte. Wie gelähmt von einer schrecklichen Angst vor den Gedanken, die dieses Gespräch in ihr wachrief, wäre sie beinahe an der Stelle, wo sie stand, auf den Boden gesunken. Unter Aufbietung ihrer letzten Kraft schleppte sie sich die Treppe hinauf und in ihr Zimmer. Was für ein Spiel spielte Surama, dieses bösartige Ungeheuer? In was zog er ihren Bruder hinein? Welche monströsen Tatsachen verbargen sich hinter diesen kryptischen Äußerungen? Tausend Phantome der Dunkelheit und Bedrohung tanzten vor ihren Augen, und ohne Hoffnung, Schlaf finden zu können, warf sie sich aufs Bett.

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