Das Grauen im Museum
und reichte sie Clarendon.
»Auf Seite 542 du siehst die Überschrift »Dum-Dum-Fieber durch neues Serum besiegt«. Er stammt von Dr. Miller aus Philadelphia; er glaubt, er sei dir auf der Suche nach einem Heilmittel zuvorgekommen. Im Club wurde darüber diskutiert, und MacNeil hielt die Darstellung für sehr überzeugend. Ich als Laie kann mir da kein Urteil erlauben, aber ich dachte mir, daß du auf alle Fälle möglichst bald von der Sache erfahren solltest. Wenn du beschäftigt bist, will ich dich natürlich nicht länger …« Clarendon unterbrach ihn scharf.
»Ich will meiner Schwester eine Spritze geben, sie fühlt sich nicht ganz wohl, aber ich sehe mir an, was dieser Quacksalber zu sagen hat, wenn ich wiederkomme. Ich kenne Miller ein
Pfuscher und Angeber -, und ich glaube kaum, daß er genug Grips hat, um aufgrund des wenigen, was er gesehen hat, hinter mein Geheimnis zu kommen.«
Dalton hatte plötzlich das Gefühl, verhindern zu müssen, daß Georgina die ihr zugedachte Spritze bekam. Irgend etwas war ihm nicht geheuer. Nach dem, was sie erzählt hatte, mußte Alfred ungewöhnlich lange gebraucht haben, um die Spritze herzurichten, viel länger, als es dauern konnte, eine Morphiumtablette aufzulösen. Er beschloß, seinen Gastgeber so lange wie möglich aufzuhalten und dabei mehr oder minder vorsichtig zu versuchen, seine Einstellung zu ergründen.
»Es tut mit leid, daß Georgina sich nicht wohl fühlt. Bist du sicher, daß die Spritze ihr gut tun wird? Daß sie ihr nicht schaden wird?«
Clarendons heftige Reaktion bewies, daß Dalton einen wunden Punkt berührt hatte.
»Ihr schaden?« rief er. »Das ist ja absurd! Du kannst dir doch denken, daß Georgina immer bei allerbester Gesundheit sein muß, um der Wissenschaft dienen zu können, wie es einer Clarendon ansteht. Sie selbst begreift wenigstens, was es heißt, meine Schwester zu sein. Kein Opfer für mich und meine Arbeit ist ihr zu groß. Sie ist eine Priesterin der Wahrheit und der Forschung, so wie ich ein Priester bin.«
Er hielt in seiner schrillen Tirade inne, atemlos und mit wildem Blick. Dalton sah, daß seine Aufmerksamkeit für einen Moment auf etwas anderes gelenkt worden war.
»Aber ich kann mir ja mal ansehen, was dieser lächerliche Quacksalber zu sagen hat«, fuhr er fort. »Wenn der glaubt, mit seinem pseudomedizinischen Geschwätz einen echten Arzt beeindrucken zu können, ist er noch einfältiger, als ich gedacht habe!«
Clarendon blätterte hastig das Heft durch, bis er den Artikel gefunden hatte, und begann zu lesen, immer noch im Stehen und mit der Spritze in der einen Hand. Dalton fragte sich, was wirklich dahinterstecken mochte. MacNeil hatte ihm versichert, der Autor sei ein hochangesehener Pathologe, und wenn der Artikel vielleicht auch einzelne Fehler enthalten mochte, könne man doch sicher sein, daß der Verfasser ein Mann von großen Fähigkeiten, höchster Bildung und absoluter Integrität sei. Dalton ließ den Arzt nicht aus den Augen, während er las, und sah, wie sein bärtiges Gesicht erbleichte. Die großen Augen brannten, und die Seiten knisterten zwischen den langen, schlanken, krampfhaft zitternden Fingern. Der Schweiß brach auf der hohen, elfenbeinweißen Stirn aus, über der sich das Haar schon zu lichten begann, und schließlich sank der Lesende aufstöhnend auf den Stuhl, den sein Besucher freigemacht hatte, während er den Artikel las. Dann kam ein wilder Aufschrei, wie von einem in die Enge getriebenen Tier, und Clarendon ließ seinen Oberkörper auf die Tischplatte fallen, seine ausgebreiteten Arme stießen Bücher und Papiere zur Seite, und sein Bewußtsein erlosch wie eine vom Wind ausgeblasene Kerzenflamme.
Dalton eilte seinem zusammengebrochenen Freund zu Hilfe, hob seinen schmächtigen Oberkörper hoch und stützte ihn an die Stuhllehne. Er erblickte die Karaffe auf dem Fußboden vor dem Sofa, besprengte das verzerrte Gesicht und wurde dadurch belohnt, daß sein Freund langsam die Augen aufschlug. Es waren jetzt die Augen eines Vernünftigen tief und traurig und unverkennbar vernünftig -, und Dalton ahnte ehrfurchtsvoll, daß er einer Tragödie beiwohnte, deren ganzes Ausmaß er nie würde ermessen können.
Clarendon umklammerte immer noch mit der linken Hand die goldene Spritze, und als er nun tief einatmete, öffnete er die Hand und betrachtete das glitzernde Ding, das da in seiner Handfläche hin und herrollte. Dann sprach er langsam und mit der
unsagbaren Traurigkeit tiefster,
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