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Das Grauen im Museum

Das Grauen im Museum

Titel: Das Grauen im Museum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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zu beruhigen, klug gewesen war, und merkte, noch bevor er etwas sagte, daß sie über etwas Undefinierbares schauderte. Der Instinkt sagte ihr, daß der Moment seiner Verstandesklarheit vorüber war und daß sie jetzt wieder den rücksichtslosen, fanatischen Wissenschaftler vor sich hatte. Es war etwas Makabres an der Art, wie er bei ihrer beiläufigen Erwähnung ihrer unverwüstlichen Gesundheit die Augen verengt hatte. Woran dachte er? Auf welche unnatürliche Spitze würde er seine leidenschaftliche Experimentierfreudigkeit noch treiben? Worin lag die besondere Bedeutung ihres reinen Blutes und ihres absolut makellosen organischen Zustands? Keine dieser bösen Ahnungen beunruhigte sie jedoch länger als eine Sekunde, und sie verhielt sich ganz natürlich und arglos, als sie den festen Griff ihres Bruders an ihrem Puls spürte.
    »Du fieberst ein bißchen, Georgie«, sagte er mit klarer, betont sachlicher Stimme und sah ihr prüfend in die Augen.
    »Ach was, Unsinn, mir fehlt nichts«, erwiderte sie. »Man könnte meinen, du seist auf der Suche nach Fieberpatienten, nur um deine Entdeckung demonstrieren zu können. Es hätte natürlich durchaus einen gewissen poetischen Reiz, wenn du den letzten Beweis für die Wirksamkeit deines Mittels dadurch erbringen könntest, daß du deine eigene Schwester heilst!«
    Clarendon zuckte schuldbewußt zusammen. Hatte sie seinen Wunsch geahnt? Hatte er laut gedacht? Er musterte sie und stellte fest, daß sie keinen Schimmer von der Wahrheit hatte. Sie lächelte lieb zu ihm auf und tätschelte ihm den Kopf, während er vor dem Sofa stand. Dann zog er ein längliches Lederfutteral aus seiner
    Westentasche und nahm eine kleine goldene Spritze heraus. Er drehte das Instrument nachdenklich zwischen den Fingern und schob mehrmals den Kolben in dem leeren Zylinder hin und her.
    »Ich frage mich«, begann er mit gravitätischer Liebenswürdigkeit, »ob du wirklich bereit wärst, der Wissenschaft auch auf … so eine Weise zu dienen, falls es eines Tages notwendig wäre. Ich frage, ob du dich der Sache so verpflichtet fühlst, daß du dich gewissermaßen wie Jephthas Tochter der Medizin opfern würdest, wenn du wüßtest, daß davon die letzte Vollendung meiner Arbeit abhängen würde.« Georgina, die ein merkwürdiges, unmißverständliches Glitzern in den Augen ihres Bruders wahrnahm, wußte nun endlich, daß ihre schlimmsten Befürchtungen begründet waren. Sie konnte jetzt nur eines tun ihn um jeden Preis in Sicherheit wiegen und beten, daß Margarita James Dalton in dessen Club angetroffen hatte. »Du wirkst müde, Alf, Lieber«, sagte sie sanft. »Willst du nicht etwas Morphium nehmen, damit du den Schlaf findest, den du so dringend brauchst?« Er antwortete ihr mit schlauer Überlegung.
    »Ja, du hast recht. Ich bin völlig erschöpft, und du auch. Wir müssen uns beide ausschlafen. Morphium ist genau das richtige. Wenn du hier wartest, fülle ich diese Spritze damit, und wir nehmen beide eine angemessene Dosis.«
    Die leere Spritze immer noch in der Hand, ging er leise aus dem Zimmer. Georgina sah sich in hilfloser Verzweiflung um und horchte, ob nicht vielleicht doch noch Hilfe nahte. Sie meinte, Margarita wieder in der Küche zu hören und stand auf, um nach ihr zu klingeln und sie zu fragen, ob sie die Nachricht überbracht habe. Die alte Dienerin erschien unverzüglich und erklärte ihr, sie habe die Nachricht schon vor Stunden im Club abgegeben. Gouverneur Dalton sei nicht im Hause gewesen, aber der Sekretär habe ihr versprochen, sie Dalton bei seiner Rückkehr sofort auszuhändigen.
    Margarita watschelte wieder in ihre Küche zurück, aber Clarendon ließ auf sich
    warten. Was mochte er tun? Was führte er im Schilde ? Georgina hatte die Haustür ins Schloß fallen hören und wußte deshalb, daß er im Labor sein mußte. Hatte er in seiner geistigen Verwirrung seinen ursprünglichen Vorsatz vergessen? Die Spannung wurde nachgerade unerträglich, und Georgina mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht loszuschreien.
    Die Gartentorglocke, die gleichzeitig im Haus und im Labor läutete, brach dann endlich den Bann. Georgina hörte Suramas katzenhafte Schritte auf dem Gartenweg, als er ans Tor ging; und dann vernahm sie mit einem fast hysterischen Seufzer der Erleichterung die feste, vertraute Stimme von Dalton, der mit dem unheimlichen Diener sprach. Sie erhob sich und rannte fast auf ihn zu, als er in der Tür der Bibliothek erschien, und einen Moment lang sprach keiner ein

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