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Das Grauen im Museum

Das Grauen im Museum

Titel: Das Grauen im Museum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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Erdbeben. In den verstreuten Trümmern fanden sich riesige Steinblöcke, die eindeutig künstlich bearbeitet worden waren, und bei einer genaueren Untersuchung wurden Reste prähistorischen zyklopischen Mauerwerks gefunden, das man auf gewissen PazifikInseln antrifft und das für die Archäologie immer noch ein Rätsel darstellt. Schließlich gelangten die Seeleute in eine massive steinerne Krypta offenbar Teil eines viel größeren Gebäudes, das ehemals weit unter der Erde gelegen haben mußte -, in der eine grauenerregende Mumie in einer Ecke kauerte. Nach einer kurzen Phase panischer Angst, die teilweise auch von Reliefs an den Wänden verursacht wurde, ließen sich die Männer herbei, die Mumie auf das Schiff zu schaffen, obwohl sie sie nur mit größtem Widerwillen anfaßten. Dicht neben dem Körper, so als ob er früher einmal in den Kleidern gesteckt hätte, lag ein Zylinder aus einem unbekannten Metall; dieser enthielt eine Rolle dünnen, bläulich-weißen Materials, dessen Herkunft ebenfalls unbekannt war und das eigenartige Schriftzeichen in grauer Farbe trug. In der Mitte des riesigen Steinfußbodens war etwas wie eine Falltür zu erkennen, aber die Männer verfügten nicht über die nötigen Hilfsmittel, um sie zu öffnen.
    Das Cabot-Museum, das damals gerade neu gegründet worden war, unternahm auf die spärlichen Berichte von der Entdeckung hin sofort die notwendigen Schritte, um die Mumie und den Zylinder zu erwerben. Kustos Pickman fuhr persönlich nach Valparaiso und rüstete einen Schoner für eine Forschungsreise zu der Krypta aus, in der die Mumie gefunden worden war, scheiterte jedoch mit diesem Unternehmen. In der Gegend, wo sich die Insel befinden sollte, war weit und breit nur offene See, und die Forscher erkannten, daß die gleichen seismischen Kräfte, die das Eiland plötzlich aus dem Meer gehoben hatten, es nun wieder in die wäßrige Finsternis hinabgezogen hatten, in der es seit Ewigkeiten geschlafen hatte. Das Geheimnis jener unbeweglichen Falltür würde nie gelüftet werden.
    Aber man hatte ja noch die Mumie und den Zylinder, und erstere wurde Anfang November 1879 in der Mumienhalle des Museums ausgestellt.
    Das Cabot-Museum für Archäologie, das auf Überreste alter und unbekannter Kulturen spezialisiert ist, die nicht in den Bereich der Kunst fallen, ist eine kleine und nicht sehr bekannte Institution, die jedoch in wissenschaftlichen Kreisen einen guten Ruf genießt. Das Museum steht im exklusiven Bezirk Beacon Hill von Boston in der Mt. Vernon Street. Es ist in einem früheren Privathaus mit einem nach hinten angebauten zusätzlichen Flügel untergebracht und war der Stolz des ganzen Viertels, bis es durch die schrecklichen Ereignisse der jüngeren Vergangenheit zum Gegenstand unerwünschter Publizität wurde.
    Der Mumiensaal im Westflügel des alten Hauses (das von Bulfinch entworfen und
    1819 gebaut wurde), im ersten Stock, steht bei Historikern und Anthropologen zu Recht im Ruf, die größte Sammlung seiner Art in Amerika zu beherbergen. Hier findet man typische Beispiele für die ägyptische Einbalsamierung, von den frühesten Exemplaren aus Sakkara bis zu den spätesten koptischen Versuchen im 8. Jahrhundert, Mumien aus anderen Kulturen, darunter prähistorische indianische Exemplare, die erst vor kurzem auf den Al Áuten entdeckt wurden, Figuren aus Pompeji, die dadurch entstanden, daß man die tragischen Hohlräume in den Aschemassen der Ruinenstadt mit Gips ausgoß, natürlich mumifizierte Körper aus Bergwerken und anderen Ausgrabungen in allen Teilen der Welt von denen manche in den grotesken Stellungen ihres letzten Todeskampfes eingeschlossen worden waren -, mit einem Wort, alles, was man in einer solchen Sammlung nur erwarten kann. Im Jahre 1879 war die Sammlung natürlich noch nicht so umfangreich wie heute, doch immerhin schon durchaus bemerkenswert. Diese schockierende Mumie aus der zyklopischen Krypta auf einer nur für so kurze Zeit dem Ozean entstiegenen Insel war jedoch die Hauptattraktion und das rätselhafteste Exponat.
    Es war die Mumie eines mittelgroßen Mannes unbekannter Rasse, der in einer eigentümlichen Hockstellung einbalsamiert worden war. Das Gesicht, halb hinter klauenartigen Händen verborgen, hatte einen weit vorspringenden Unterkiefer, während die eingeschrumpften Züge auf so schreckliche Weise angstverzerrt schienen, daß nur wenige Betrachter ungerührt blieben. Die Augen waren geschlossen, mit fest über die offenbar hervortretenden

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