Das Grauen im Museum
Asche zerfiel. Und es hätte wohl auch keiner, der je einen verständigen Blick in eines dieser Bücher warf, zulassen mögen, daß auch nur ein Wort dieses Gebetes ungesagt blieb.
AUS ÄONEN von Hazel Heald und H. P. Lovecraft
[Manuskript aus dem Nachlaß des verstorbenen Dr. Richard H. Johnson, Kustos des Cabot-Museums für Archäologie, Boston, Massachussetts.]
Die Einwohner von Boston — und aufmerksame Leser in anderen Orten werden wohl nie die seltsame Affäre um das Cabot-Museum vergessen. Die
Zeitungsberichte über diese teuflische Mumie, die mit ihr verbundenen schrecklichen, uralten Gerüchte, die makabre Neugier und die kultischen Aktivitäten im Jahre 1932 sowie das grauenvolle Schicksal, das die beiden Eindringlinge am 1. Dezember jenes Jahres erlitten — dies alles zusammen ergab eine jener geheimnisvollen Geschichten, die als Folklore von Generation zu Generation weitergegeben werden und schließlich den Kern ganzer Zyklen abergläubischer Phantasien bilden.
Allgemein bekannt scheint auch zu sein, daß etwas sehr Wichtiges und unsäglich Grauenvolles in den veröffentlichten Berichten vom Höhepunkt der schrecklichen Ereignisse verschwiegen wurde. Die ersten beunruhigenden Hinweise auf den Zustandeines der beiden Leichname wurden allzu eilfertig dementiert, und auch die einzigartigen Veränderungenan der Mumie erhielten längst nicht die Publizität, die man angesichts des sensationellen Charakters hätte erwarten können. Merkwürdig fanden es die meisten auch, daß die Mumie seither nicht mehr ausgestellt wird. Angesichts des hohen Entwicklungsstands der Kunst der Taxidermie kann man die Begründung, der hochgradige Zerfall der Mumie erlaube keine Ausstellung mehr, nicht als stichhaltig anerkennen.
Als Kustos des Museums wäre ich in der Lage, das Geheimnis zu lüften und alle unterdrückten Tatsachen ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen, doch werde ich dies zu meinen Lebzeiten nicht tun. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen die große Masse besser nichts weiß, und ich stehe nach wie vor zu der Ansicht, die wir alle Museumsangestellte, Ärzte, Reporter und Polizei zur Zeit der
schrecklichen Ereignisse teilten. Andererseits scheint es mir angebracht, daß eine Angelegenheit von so großer wissenschaftlicher und historischer Tragweite nicht ohne jedes schriftliche Dokument bleiben sollte;
daher dieser Bericht, den ich für ernsthafte Gelehrte abfasse. Ich werde ihn zu den Papieren legen, die nach meinem Tod gesichtet werden sollen, und es der Entscheidung meiner Testamentsvollstrecker überlassen, was damit geschehen soll. Gewisse Drohungen und außergewöhnliche Vorkommnisse in den letzten Wochen haben mich zu der Überzeugung gebracht, daß mein Leben, ebenso wie das anderer Mitarbeiter des Museums, in Gefahr ist, i und zwar wegen der Feindschaft verschiedener weitverbreiteter Geheimkulte von Asiaten, Polynesiern und Anhängern der verschiedensten mystischen Sekten; es ist deshalb möglich, daß meine Testamentsvollstrecker schon bald tätig werden müssen. (Anmerkung des Testamentsvollstreckers: Dr. Johnson starb am
22. April 1933 unerwartet und unter ungeklärten Umständen an Herzversagen. Wentworth Moore, Präparator des Museums, i verschwand Mitte des
vorangegangenen Monats. Am 18. Februar desselben Jahres erhielt Dr. William Minot, der eine Obduktion im Zusammenhang mit diesem Fall leitete, einen Messerstich in den Rücken, dem er tags darauf erlag.)
Die schrecklichen Ereignisse gehen wohl eigentlich bis ins Jahr 1879 zurück lange vor meiner Anstellung als Kustos -, als das Museum diese gespenstische, rätselhafte Mumie von der Orient Shipping Company erwarb. Schon allein ihre Entdeckung war monströs und bedrohlich, denn sie stammte aus einer Krypta unbekannter Herkunft und unermeßlichen Alters auf einer Insel, die erst kurz zuvor aus dem Pazifik aufgetaucht war.
Am ii. Mai 1878 hatte Kapitän Charles Weatherbee auf dem Frachter
Eridanus,unterwegs von Wellington, Neuseeland, nach Valparaiso in Chile, eine neue Insel gesichtet, die auf keiner Karte verzeichnet und offenbar vulkanischen Ursprungs war. Sie hatte die Form eines stumpfen Kegels und ragte ziemlich weit über die Wasseroberfläche auf. Ein Landungstrupp unter Kapitän Weatherbee bemerkte an den steilen Flanken der Insel Spuren, die darauf hinwiesen, daß die Insel lange Zeit untergetaucht gewesen war, während auf dem Gipfel manches auf Zerstörungen in jüngerer Zeit hindeutete, etwa durch ein
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