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Das Grauen im Museum

Das Grauen im Museum

Titel: Das Grauen im Museum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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Augäpfel heruntergezogenen Lidern. Es hafteten noch einzelne Haarsträhnen und Barthaare an dem Kopf, dessen Farbe ein stumpfes, neutrales Grau war. Die Oberfläche erinnerte halb an Leder und halb an Stein und stellte dadurch eines der unlösbaren Rätsel für die Experten dar, die herauszufinden versuchten, welches Verfahren der Einbalsamierung angewandt worden war. Die Substanz der Mumie war stellenweise durch Zeit und Verwesung zerstört, und Fetzen eines eigentümlichen Stoffes, in dem man noch Spuren eines fremdartigen Musters erkannte, hingen noch an dem Objekt.
    Was es war, das die Mumie so grausig und abstoßend erscheinen ließ, war schwer zu sagen. Da war einmal der undefinierbare Charakter unbegrenzten Alters und äußerster Fremdartigkeit, der einen schwindeln ließ wie ein Blick vom Rand eines monströsen Abgrundes bodenloser Finsternis, aber vor allem war es wohl der angstverzerrte Ausdruck auf dem runzeligen, prognathischen, halb verdeckten Gesicht. Ein solches Symbol unendlicher, unmenschlicher, kosmischer Furcht mußte zwangsläufig dieses Gefühl auf den ohnehin durch Geheimnis und vergebliche Mutmaßungen verstörten Betrachter übertragen.
    Unter den wenigen Kennern, die das Cabot-Museum besuchten, erlangte dieses Überbleibsel aus einer alten, vergessenen Welt schon bald einen unguten Ruf, doch wurde durch die Abgeschiedenheit und die Zurückhaltung des Museums verhindert, daß eine Sensation für die Massen daraus gemacht wurde. Im vorigen Jahrhundert hatte die Kunst des vulgären Tamtams sich noch nicht so sehr der Wissenschaft und Gelehrsamkeit bemächtigt, wie ihr das seither gelungen ist. Natürlich versuchten Fachleute aller Richtungen, das schreckliche Objekt zu klassifizieren, jedoch ohne Erfolg. Unter den Gelehrten machten Theorien über eine untergegangene pazifische Kultur die Runde, von der die Bildwerke auf der Osterinsel und die megalithischen Gemäuer von Ponape und Nan-Matal möglicherweise herstammten, und in wissenschaftlichen Zeitschriften wurde über einen hypothetischen früheren Kontinent spekuliert, dessen Gipfel als die zahllosen Inseln Melanesiens und Polynesiens heute noch aus dem Ozean ragten. Die unterschiedlichen Datierungen, die für diese verschwundene Kultur oder diesen versunkenen Kontinent angegeben wurden, waren zugleich verwirrend und amüsant, doch fanden sich in gewissen Mythen von Tahiti und anderen Inseln überraschend aufschlußreiche Motive.
    Währenddessen wurde natürlich auch dem seltsamen Zylinder und der rätselhaften, mit Hieroglyphen bedeckten Schriftrolle, die in der Museumsbibliothek aufbewahrt wurden, die gebührende Aufmerksamkeit zuteil. Über ihren Zusammenhang mit der Mumie konnte kein Zweifel bestehen, und deshalb war man sich einig, daß die Enträtselung ihres Geheimnisses aller Wahrscheinlichkeit nach auch zur Enträtselung des Geheimnisses der verschrumpelten Schreckgestalt führen würde. Der Zylinder, etwa vier Zoll lang und knapp einen Zoll im Durchmesser, war aus einem seltsam irisierenden Metall, das sich jeder chemischen Analyse entzog und offenbar unempfindlich für alle bekannten Reagenzien war. Er war mit einem dicht sitzenden Deckel aus dem gleichen Metall verschlossen und trug eingravierte Bilder von offenkundig dekorativer und möglicherweise symbolischer Natur konventionelle Ornamente, denen jedoch ein fremdartiges, paradoxes und so gut wie unbeschreibliches System der Geometrie zugrunde lag.
    Nicht minder rätselhaft war die Schriftrolle, die aus dünnem, bläulich-weißem, nicht analysierbarem Material bestand, das säuberlich um einen dünnen Stab aus dem gleichen Metall wie der Zylinder gerollt war und etwa eine Länge von zwei Fuß hatte. Die großen Hieroglyphen, die in der Mitte der Rolle in schmaler Spalte von oben nach unten angeordnet und mit einem unbekannten grauen Farbstoff geschrieben oder gemalt waren, ähnelten keiner den Paleographen bekannten Schrift und konnten nicht entziffert werden, obwohl fotografische Kopien an alle in Frage kommenden Wissenschaftler verschickt wurden.
    Zwar fanden einige in der Literatur des Okkultismus und der Magie ungewöhnlich versierte Gelehrte vage Ähnlichkeiten zwischen einigen der Hieroglyphen und gewissen urzeitlichen Symbolen, die in zwei oder drei sehr alten, obskuren und esoterischen Texten beschrieben oder zitiert werden, wie etwa im Buch Etbon, das aus dem vergessenen Hyperborea stammen soll, den Pnakotischen Fragmenten, die aus vormenschlicher Zeit stammen sollen,

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