Das Grauen im Museum
merkwürdiger Fremder erschien, ein dunkelhaariger, bärtiger Mann mit einem Turban, einer gequälten, unnatürlichen Stimme, einem seltsam ausdruckslosen Gesicht und plumpen, in grotesken weißen Fäustlingen steckenden Händen, der eine Adresse in einem Elendsviertel des West End angab und sich »Swami Chandraputra« nannte. Dieser Bursche war jedoch unglaublich bewandert in okkulten Lehren und schien zutiefst bewegt von der Ähnlichkeit der Hieroglyphen auf der Schriftrolle mit gewissen Zeichen und Symbolen einer vergessenen alten Welt, von der er nach seinen eigenen Worten sehr viel wußte. Bis Juni hatte sich die Sensationsmeldung von der Mumie und der Schriftrolle schon weit über Boston hinaus verbreitet, und das Museum bekam Anfragen und Bitten um Fotos von Okkultisten und Anhängern der
Geheimwissenschaften aus aller Welt. Das war für unsere Leute im Museum keineswegs eine reine Freude, denn wir sind eine wissenschaftliche Institution, die nicht viel für Träumer und Phantasten übrig hat; trotzdem beantworteten wir gewissenhaft alle Anfragen. Eine Folge davon war ein hochgelehrter Artikel in The Occult Review,verfaßt von dem berühmten Mystiker Etienne-Laurent de Marigny, der darin unter anderem behauptete, daß einige der alten geometrischen Ornamente auf dem irisierenden Zylinder und mehrere der Hieroglyphen auf der Schriftrolle absolut identisch mit bestimmten Ideogrammen seien, die (in Transkriptionen von urzeitlichen Monolithen oder nach Angaben esoterischer Erforscher oder Anhänger verschiedener Geheimkulte) in dem höllischen und verbotenen Schwarzen Buchoder Unaussprechlichen Kultendes von Junzt wiedergegeben seien.
De Marigny erinnerte an den schrecklichen Tod von Junzts im Jahre 1840, ein Jahr nach dem Erscheinen seines Buches in Düsseldorf, und berichtete von dessen haarsträubenden und teilweise nur zu vermutenden Quellen. Vor allem hob er die ungeheuere Bedeutung der Geschichten hervor, mit denen von Junzt die meisten der monströsen Ideogramme, die er in seinem Buch wiedergab, in Verbindung brachte. Daß diese Geschichten, in denen ausdrücklich ein Zylinder und eine Schriftrolle erwähnt wurden, sehr stark an die Dinge im Museum erinnerten, konnte niemand bestreiten; freilich waren sie von so atemberaubender Extravaganz und handelten von so unglaublich großen Zeiträumen und phantastischen Anomalien einer vergessenen alten Welt, daß man sie leichter bewundern als an sie glauben konnte.
Auf Bewunderung stießen sie vor allem in der Öffentlichkeit, denn der Artikel wurde fast in allen Zeitungen abgedruckt. Überall erschienen illustrierte Berichte mit den Legenden aus dem Schwarzen Buch,die sich über den grauenhaften Charakter der Mumie verbreiteten, die Ornamente des Zylinders und die Hieroglyphen der Schriftrolle mit den Abbildungen in von Junzts Buch verglichen und sich in den abenteuerlichsten, sensationellsten und irrationalsten Theorien und Spekulationen ergingen. Die Besucherzahlen des Museums verdreifachten sich, und wieweit verbreitet das Interesse war, ging unter anderem aus der Flut von zumeist stupiden und überflüssigen Zuschriften hervor, die das Museum erhielt. Die Mumie und ihre Herkunft schienen zumindest für phantasiebegabte Menschen ein Thema zu sein, das sie in den Jahren 1931 und 1932 ebenso stark bewegte wie die Weltwirtschaftskrise. Was mich selbst betraf, so wirkte sich bei mir der ganze Aufruhr dahin aus, daß ich von Junzts monströses Werk in der Golden-Goblin-Ausgabe las, eine Lektüre, die mir Schwindel und Ekel verursachte, so daß ich froh war, nur den expurgierten Text kennengelernt zu haben.
Die archaischen Legenden, die im Schwarzen Buch beschrieben sind und mit Ornamenten und Symbolen zusammenhängen, die den Darstellungen auf der geheimnisvollen Schriftrolle und dem Zylinder so sehr ähneln, waren in der Tat so geartet, daß es einem den Atem verschlug. Sie berichteten von unvorstellbar lange vergangenen Zeiten, Epochen vor allen Kulturen, Rassen und Ländern, die wir kennen, und handelten überwiegend von einem verschwundenen Volk und einem verschwundenen Kontinent der sagenhaften frühen Jahre … einem Kontinent, dem die Legende den Namen Mu gegeben hat, und der Inschriften in der Ursprache Naacal auf alten Tafeln zufolge vor 200 ooo Jahren bewohnt war, zu einer Zeit also, als es in Europa nur Zwitterwesen gab und man im untergegangenen Hyperborea den schwarzen, amorphen Tsathoggua verehrte.
Es war die Rede von einem Königreich namens
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