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Das Grauen im Museum

Das Grauen im Museum

Titel: Das Grauen im Museum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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denn irgendwie spürten wir, daß eine seltsame Starre uns überfiel und uns bei den einfachsten Bewegungen behinderte, eine Starre, die später seltsamerweise wieder völlig verschwand, als wir die Schriftrolle mit den Hieroglyphen herumgehen ließen. In kurzen Abständen spürte ich, wie mein Blick unwiderstehlich zu diesen schrecklichen Glotzaugen in der Vitrine hingezogen wurde, und als ich sie nach der Untersuchung der Leichname wieder betrachtete, meinte ich, etwas ganz Einzigartiges an der glasigen Oberfläche der dunklen und wunderbar konservierten Pupillen zu erkennen. Je länger ich sie ansah, um so mehr faszinierten sie mich, und so ging ich schließlich trotz der Starre in den Gliedern in mein Büro hinunter, um eine besonders starke Lupe zu holen. Mit dieser untersuchte ich nun die Pupillen der Fischaugen sehr sorgfältig, während die anderen mich erwartungsvoll umstanden.
    Ich war stets ziemlich skeptisch gegenüber der Theorie gewesen, daß Szenen und Objekte beim Tod oder im Koma auf der Retina des Auges gewissermaßen fotografisch festgehalten werden, doch kaum hatte ich durch die Lupe gesehen, als ich erkannte, daß sich in der glasigen, aufgewölbten Optik dieses namenlosen Wesens aus unvordenklichen Zeiten etwas anderes spiegelte als der Raum, in dem wir uns befanden. Ich war sicher, daß sich auf der uralten Netzhaut eine Szene abgebildet hatte, und ich konnte nicht bezweifeln, daß es das Letzte war, was diese Augen im letzten Moment des Lebens gesehen hatten also vor ungezählten Jahrtausenden. Das Bild schien allmählich zu verblassen, und mit zitternden Fingern versuchte ich, noch eine weitere Linse in die Lupe einzusetzen. Es mußte aber klar und deutlich, wenn auch unendlich klein gewesen sein, als es ausgelöst durch irgendeinen Zauber oder eine Handlung plötzlich vor den Eindringlingen erschienen war, die sich darüber zu Tode erschreckt hatten. Mit der Zusatzlinse erkannte ich nun viele Details, die zunächst unsichtbar gewesen waren, und die Umstehenden lauschten gebannt dem Wortschwall, mit dem ich zu beschreiben suchte, was ich sah.

    Denn hier und jetzt, im Jahre 1931, sah ein Mann in der Stadt Boston etwas vor sich, was zu einer unbekannten und unendlich fremden Welt gehörte, einer Welt, die schon vor Äonen vom Antlitz der Erde und aus dem Gedächtnis der Menschen
    verschwunden war. Ich sah einen riesigen Raum, einen Saal aus zyklopischem Mauerwerk, und es schien mir, als sähe ich ihn von einer seiner Ecken aus. An den Wänden waren Reliefs von so schrecklicher Art, daß ihre lästerliche Bestialität mir selbst in dieser unvollkommenen Wiedergabe Übelkeit verursachte. Ich konnte nicht glauben, daß die Schöpfer dieser Bildwerke Menschen gewesen waren oder auch nur jemals Menschen gesehen hatten, als sie die fürchterlichen Gestalten formten, die den Betrachter anglotzten. In der Mitte des Saals befand sich eine kolossale steinerne Falltür, die geöffnet war, um den Aufstieg irgendeines Objekts aus der Tiefe zu ermöglichen. Dieses Objekt hätte deutlich zu sehen sein müssen und war es wohl auch gewesen, als die Augen sich zum erstenmal vor den Eindringlingen öffneten -, verschwamm jedoch unter meiner Lupe zu einem monströsen Schleier.
    Ich hatte, nachdem ich die Lupe auf noch stärkere Vergrößerung eingestellt hatte, nur das rechte Auge untersucht. Einen Moment später wünschte ich mir, ich hätte es dabei bewenden lassen. Aber mich hatte der Eifer des Entdeckers gepackt, und so richtete ich meine starke Lupe auch auf das linke Auge der Mumie, in der Hoffnung, dort ein noch nicht so stark verblaßtes Bild auf der Retina zu finden. Da meine Hände vor Erregung zitterten und durch den erwähnten unerklärlichen Einfluß unnatürlich steif waren, dauerte es eine Weile, bis ich das Bild in voller Schärfe sah, und da merkte ich, daß es tatsächlich viel besser erhalten war als das in dem anderen Auge. Nur einen Sekundenbruchteil lang sah ich das unerträgliche Ding, das durch die riesige Falltür in dieser zyklopischen, unvorstellbar archaischen Krypta einer verlorenen Welt aufquoll, und dann brach ich mit einem unartikulierten Schrei zusammen, dessentwegen ich mich nicht einmal schäme.
    Als ich wieder zu mir kam, war in keinem der beiden Augen der monströsen Mumie mehr ein Bild zu erkennen. Sergeant Keefe von der Polizei stellte dies mit Hilfe meiner Lupe fest, denn ich konnte es nicht über mich bringen, mich noch einmal dieser Abnormität zuzuwenden. Und ich dankte

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