Das Grauen im Museum
umhören wollte, und seither habe ich eine Schlangenfurcht, die mich mein Leben lang nicht mehr verlassen wird. Ich gebe zu, daß diese Furcht töricht ist, denn es gibt natürliche Erklärungen für alles, was ich sah und hörte, aber ich kann sie trotzdem nicht abschütteln. Wenn es nur die alte Geschichte gewesen wäre, hätte ich mich nicht so sehr aus der Fassung bringen lassen. Durch meine Arbeit als Ethnologe ich bin Spezialist für die Volkskunde der nordamerikanischen Indianer habe ich schon so viele extravagante Legenden kennengelernt, daß ich nicht mehr so leicht zu erschüttern bin, und ich weiß, daß einfache Weiße den Rothäuten manchmal durchaus überlegen sein können, wenn es um die Erfindung von
Phantasiegeschichten geht. Nie werde ich jedoch vergessen können, was ich mit eigenen Augen in der Irrenanstalt in Guthrie sah.
Ich stattete der Anstalt einen Besuch ab, weil einige der ältesten Siedler mir gesagt hatten, ich würde dort auf wichtige Dinge stoßen. Weder die Indianer noch die Weißen wollten mit mir über die Schlangengott-Legenden sprechen, denen ich auf der Spur war. Die Neulinge, die der Ölboom ins Land gelockt hatte, wußten über solche Dinge natürlich nicht Bescheid, und die Indianer und die alten Pioniere hatten offenbar Angst, darüber zu sprechen. Nicht mehr als sechs oder sieben Leute erwähnten die Irrenanstalt, und auch die sprachen nur leise und hinter vorgehaltener Hand darüber. Aber diese Flüsterer sagten mir, daß Dr. McNeill mir eine schreckliche Reliquie zeigen und mir alles sagen könne, was ich zu wissen begehrte. Er könne mir erklären, warum Yig, der halbmenschliche Vater der Schlangen, im Innern des Staates Oklahoma ein gemiedenes und gefürchtetes Objekt sei und warum die alten Siedler über die geheimen indianischen Orgien schauderten, die an Herbsttagen und -Nächten einsame Gegenden im unablässigen Getrommel der TomToms erdröhnen ließen.
Wie ein Spürhund, der Witterung aufgenommen hat, wählte ich den kürzesten Weg nach Guthrie, denn ich hatte schon viele Jahre mit der Erforschung der
Schlangenverehrung bei den Indianern zugebracht. Aus zahlreichen, kaum verschlüsselten Hinweisen in Legenden und archäologischen Überresten hatte ich geschlossen, daß der große Quetzalcoatl der gütige Schlangengott der Mexikaner einen älteren, dunkleren Vorläufer gehabt hatte, und in den letzten Monaten hatte ich auf ausgedehnten Forschungsreisen von Guatemala bis zu den Ebenen Oklahomas schon fast den Beweis dafür gefunden. Aber alles war noch irgendwie unvollständig und in der Schwebe, denn nördlich der Grenze war der Schlangenkult von einer
Mauer der Angst und des Schweigens umgeben.
Jetzt schien es, daß sich mir eine neue, ergiebige Informationsquelle erschließen sollte, und ich suchte gleich nach meiner Ankunft den Leiter der Irrenanstalt auf, dem ich meine Wißbegier nicht verhehlte. McNeill war ein kleiner, glattrasierter Mann in fortgeschrittenen Jahren, und seine Sprache und seine Umgangsformen sagten mir sofort, daß ich es mit einem Gelehrten zu tun hatte, der auch über sein eigenes Fach hinaus auf mancherlei Gebieten bewandert war. Ernst und skeptisch, als ich ihm mein Anliegen erläuterte, prüfte er sorgfältig und mit nachdenklicher Miene meine Referenzen und den Empfehlungsbrief, den mir ein früherer Indianerhändler mitgegeben hatte.
»So, so. Sie haben sich also mit der Yig-Legende befaßt«, meinte er gravitätisch. »Ich weiß, daß da viele unserer Ethnologen in Oklahoma eine Verbindung mit Quetzalcoatl herstellen wollen, aber ich glaube nicht, daß irgendeiner von ihnen die Zwischenstufen alle genau erforscht hat. Für einen jungen Mann, der Sie offenbar noch sind, haben Sie bemerkenswerte Arbeit geleistet, und ich sehe keinen Grund, weshalb wir Ihnen nicht alle Daten überlassen sollten, über die wir verfügen. Ich vermute, daß weder der alte Bürgermeister Moore noch irgendeiner der anderen Ihnen gesagt hat, was ich hier habe. Sie reden nicht gerne darüber, und ich eigentlich auch nicht. Es ist zutiefst tragisch und schrecklich, aber mehr steckt nicht dahinter. Ich weigere mich, irgend etwas Übersinnliches darin zu sehen. Es gibt eine Geschichte darüber, die ich Ihnen erzählen werde, nachdem Sie es gesehen haben, eine verteufelt tragische Geschichte, die jedoch nichts mit Magie zu tun hat. Sie beweist lediglich, welche Macht doch der Glaube über manche Menschen hat. Ich gebe zu, es gibt Augenblicke, in denen ich einen
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