Das Grauen im Museum
Flusses hörte ich das klagende Gurren einer Taube, und mir schien, als sei sogar das fließende Wasser selbst schwach zu hören. Halb im Traum rüttelte ich an der alten eisernen Türklinke und versuchte schließlich, die große, in sechs Felder eingeteilte Tür aufzustoßen. Sie war unverschlossen, wie ich sogleich bemerkte, und obgleich sie klemmte und in den Angeln quietschte, ließ sie sich widerstrebend öffnen, und ich trat in eine riesige, dämmrige Vorhalle.
Doch kaum hatte ich diesen Schritt getan, bereute ich ihn auch schon. Es lag nicht daran, daß eine Legion von Geistern mir in dieser düsteren, verstaubten Halle mit ihrer gespenstischen Empire-Einrichtung entgegentrat, sondern daran, daß ich schlagartig wußte, daß das Haus keineswegs unbewohnt war. Ich vernahm ein Knarren von der großen geschwungenen Treppe und das Geräusch langsam herabsteigender, unsicherer Schritte. Dann sah ich für einen Augenblick eine hohe, gebückte Gestalt als Silhouette vor dem palladianischen Fenster auf dem
Treppenabsatz. Ich hatte den Schreck, der mir in die Glieder fuhr, rasch überwunden, und als die Gestalt die letzten Stufen herabstieg, war ich bereit, den Hausherrn zu begrüßen, dessen Ruhe ich gestört hatte. Im Halbdunkel konnte ich erkennen, wie er in die Tasche griff und ein Zündholz hervorholte. Ein Lichtschein flackerte auf, als er eine kleine Petroleumlampe anzündete, die auf einem gebrechlichen Tischchen am Fuß der Treppe stand. In dem schwachen Licht erschien die vornübergebeugte Gestalt eines sehr großen, abgemagerten alten Mannes; trotz seiner schäbigen Kleidung und seines unrasierten Gesichts war sein ganzes Gehaben das eines Gentlemans.
Ich wartete nicht, bis er mich anredete, sondern begann sofort, meine Anwesenheit zu erklären.
»Bitte entschuldigen Sie, daß ich einfach so eingedrungen bin, aber als mein Klopfen ohne Antwort blieb, nahm ich an, das Haus sei unbewohnt. Ich wollte mich nur nach dem richtigen Weg nach Cape Girardeau erkundigen, das heißt, nach dem kürzesten. Ich wollte eigentlich noch vor Anbruch der Dunkelheit dort sein, aber jetzt ist es natürlich…«
Als ich verstummte, sprach der Mann, und zwar genau in dem kultivierten Tonfall, den ich erwartet hatte, und mit einem weichen Akzent, der ebenso unverkennbar südstaatlich war wiedas Haus, das er bewohnte.
»Ich muß vielmehr Sie um Entschuldigung bitten, daß ich nicht prompter auf Ihr Klopfen reagiert habe. Ich lebe sehr zurückgezogen und bin normalerweise nicht auf Besucher eingestellt. Ich dachte zunächst, es handle sich nur um einen Neugierigen. Als Sie dann erneut klopften, stand ich auf, um nachzusehen, aber ich bin hinfällig und kann mich nur sehr langsam bewegen. Spinale Neuritis sehr schwieriger Fall. Was aber Ihren Wunsch angeht, die Stadt vor dem Dunkelwerden zu erreichen, so liegt es auf der Hand, daß das unmöglich sein wird. Die Straße, auf der Sie sind ich nehme an. Sie kommen vom Tor -, ist weder die beste noch die kürzeste Verbindung. Wenn Sie das Tor hinter sich gelassen haben, müßten Sie die erste Abzweigung nach links nehmen, das heißt, die erste richtige Straße nach links. Drei oder vier Fahrwege, die vorher abzweigen, können Sie unbeachtet lassen, aber die richtige Straße können Sie nicht verfehlen, denn gegenüber der Abzweigung steht auf der rechten Seite eine ungewöhnlich hohe Weide. Nach dem Abbiegen fahren Sie geradeaus weiter über zwei Querstraßen und biegen die dritte rechts ein. Danach…
Diese komplizierte, für einen Fremden reichlich unübersichtliche Wegbeschreibung verwirrte mich so, daß ich ihm unwillkürlich ins Wort fiel. »Halten Sie ein! Ich kann doch unmöglich all diese Hinweise beachten, in finsterer Nacht, als jemand, der hier völlig fremd ist und nur zwei Scheinwerfer hat, die ihm sagen können, was eine richtige Straße ist und was nicht. Außerdem glaube ich, daß bald ein Unwetter losbrechen wird, und ich habe einen offenen Wagen. Mir scheint, ich würde mich in ein Abenteuer mit Ungewissem Ausgang stürzen, wollte ich versuchen, Cape Girardeau doch noch heute abend zu erreichen. Ich halte es ehrlich gesagt für besser, es gar nicht mehr zu versuchen. Ich möchte Ihnen keinesfalls irgendwelche Ungelegenheiten machen, aber könnten Sie mich nicht angesichts der Umstände hier übernachten lassen? Ich würde Ihnen in keiner Weise zur Last fallen — ich erwarte kein Essen oder so etwas. Wenn Sie nur ein Plätzchen hätten, wo ich bis zum Tagesanbruch
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